Partita für Rockformation, Kammerorchester und Wahrsager op. 2 „Das Lied in mir“
Partita in drei Haupt- und 12 Unterparts
Zweite Post-Passion, zweiter Teil des Zyklus‘ „Ich bin nicht da / Ich bin da – der Sportplatz“
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– vollständiger Text –
I. Hauptpart: Die Katastrophe
I. Hauptpart, 1. Unterpart: Das eigentliche Problem (0:00) (1:55)
Oh, ich hab fast permanent Herzschmerzen. Sonst war das nur ab und zu mal, aber jetzt plötzlich ist es fast immer.
Das ist aber nicht mein Problem, das ich habe. Sondern mein Problem, das ich habe, ist…:
Da ist immer was in meinem Hinterkopf: Was ganz ganz Wichtiges läuft da ab, was aber alles überschattet, oder…
Es ist so, als ob mir die Grundlage oder die Basis entzogen ist, von der aus ich überhaupt erst dann was machen könnte.
Das dann zu ändern, das wäre dann gar kein Thema mehr – wenn ich es nur wollte! Oder wenn ich es dürfte!
Mir fehlt da irgendwie vorher irgendwas, oder zugrundeliegend fehlt mir da irgendwie [was].
Da ist was anderes da, was viel Wichtigeres, das ich nicht so genau kenne, was alles von vornherein kaputtmacht.
Das beherrscht eigentlich alles, dieses andere.
Ich kann mir vorstellen: der normale Mensch greift eben einfach aus nach dem Leben und lebt einfach das Leben dann.
Und der erlebt Dinge und macht Dinge und ist mittendrin im Leben – und das alles bin ich überhaupt nicht!
Von vornherein verzichte ich auf alles.
Ja, aber, verstehst du?: in wessen Namen?
Warum sollte ich daran was ändern? – Und das ist dann außerhalb meiner Reichweite. Da kann ich nicht ran. Das darf ich nicht berühren, das kann ich nicht berühren – das ist weit weg.
Weit weggedrückt. Ich habe dann einfach so versucht, damit zu leben und das Beste draus zu machen. Aber das Problem ist: daß es einfach nur öde ist.
I. Hauptpart, 2. Unterpart: Die Feststellung der Katastrophe: die Nicht-Existenz (1:55) (1:17)
Mein Leben ist eigentlich wirklich eine Katastrophe.
Weil ich gar nicht lebe! Ich lebe überhaupt nicht. Es ist ekelhaft eigentlich. Es ist langweilig, ekelhaft, gefühllos – es ist gar kein Leben da. Nichts passiert. Nichts Aufregendes oder Erregendes oder Anregendes – nichts!
Alles, was irgendwie ein bißchen anregend ist, ist meine eigne Musik, die ich mit mir selber mache.
Bei anderen ist es eben nicht so. Die sind im Leben. Die mögen zwar ihre Probleme haben, aber die sind erst mal im Leben drin. Die nehmen woran teil oder haben überhaupt irgendwas zu tun mit etwas Lebendigem. – Was alles bei mir überhaupt nicht ist.
Es ist eine Katastrophe.
Und dann lebe ich mein kleines beschiß‘nes Leben, völlig sinnlos und öde, völlig entleert. Da regt sich nichts mehr.
I. Hauptpart, 3. Unterpart: Eindruck von totaler Lüge (3:12) (0:52)
Heißt das jetzt, daß ich die ganzen Jahre nur gelogen, nur Quatsch erzählt habe, wenn ich so was plötzlich sage?
War das alles Blödsinn jetzt?
Weil: Wenn das so wahr ist, was ich jetzt sage – das straft doch alles Lügen im Prinzip.
Als ob das auch alles nur Lüge ist: wenn ich mich jetzt öffnen würde, daß dann auch alles Lüge ist.
Alles Quatsch.
Mir kommt das so wie eine bodenlose Lüge vor. Ein bodenloses Pseudo-Leben. Bodenlos, und vor allen Dingen: Es ist gar nicht möglich! Es kann alles nur Lüge sein. Es gibt mich nicht und es hat mich nie gegeben und…
I. Hauptpart, 4. Unterpart: Verunsicherung, Verwirrung, aufkeimende Gewißheit (4:04) (1:38)
Bestimmte Dinge kann ich nicht leugnen. Aber ich kann genau so wenig dann „Ja“ sagen: „Ja, das bist du!“ Kann ich nicht sagen! Ich weiß es nicht!
Ich habe keine Verbindung zu mir selber oder so was. Ich weiß nicht, ob ich wirklich da bin oder ob es mich wirklich gibt – ich weiß das nicht!
Als ob ich immer diese Distanz hätte zum Leben eigentlich. Daß ich immer schon drüber stehen würde.
Natürlich kann ich manche Sachen nicht leugnen, aber ich bin trotzdem so verunsichert; trotzdem weiß ich nicht, ob das was mit mir zu tun haben könnte.
Ich könnte jetzt sagen: „Ja, du warst das! Du bist damals dort und dort langgegangen…“
– Da war so ein Weg, den bin ich oft gegangen, ich sehe den genau vor mir, ich sehe…
Ich sehe…: Vor den Gärten, da war dann so ein Gebüsch – hat das was mit mir zu tun? Oder…
I. Hauptpart, 5. Unterpart: Totale Resignation (5:42) (2:01)
Und oft, oft….
… ich merk‘ dann auch immer so, wie wenig das alles war, und das fällt mir dann immer so ein…
Irgendwo so eine ganz kleine Stimme, die mir sagt: „Mach weiter! Versuch dich irgendwie wieder zu öffnen.“ Aber eigentlich lege ich mich dann hin.
Eigentlich habe ich total abgeschlossen und mich abgefunden mit allem.
Es fällt mir so schwer, daran etwas ändern zu wollen.
Ich kann das gar nicht glauben, daß irgendwas echt sein soll.
Ich kann‘s einerseits nicht leugnen, aber andererseits weiß ich genau: Es ändert sich nichts; ich bleibe immer so, wie ich bin, immer. Mich gibt es nicht.
Ich weiß genau: Ich werde genau so sinnlos und öde weiterleben wie bisher. Trotz allem was ich sage und was ich erzähle.
Es bleibt immer dasselbe.
II. Hauptpart: Der Film
II. Hauptpart, 1. Unterpart: Vorrede zur Nacherzählung (7:43) (0:23)
Ich stumpfe ja nur so vor mich hin. Aber gestern Abend habe ich so einen Film geguckt und plötzlich… – ja, dann zerreißt es mich irgendwie so. Das paßt gar nicht zusammen. – Davor habe ich Angst! Deswegen mache ich mich zu.
II. Hauptpart, 2. Unterpart: Nacherzählung des Films Das Lied in mir (8:07) (8:30)
Gestern war ein Spielfilm [im Fernsehen]… Na ja, das war eine junge Frau, und die geht auf eine Wettkampfreise nach Südamerika, und auf dem Flughafen sitzt sie so da in der Wartehalle…
Und da sitzt eine Frau neben ihr, und die hat ein Baby, ein Kleinkind im Arm, und singt dem Kind ein Gutenachtlied vor auf spanisch.
Und jetzt plötzlich entdeckt die… Mit einem mal kriegt die mit: „Mensch! Das Lied kenne ich ja! Wieso, warum, weiß ich nicht, aber ich kenne das Lied!“ Und dann plötzlich singt sie es sogar mit, das Lied; da fallen ihr plötzlich sogar die Wörter ein dazu.
Dann fährt sie los, berichtet aber ihrem Vater – von dem sie meint, daß es ihr Vater ist. Dem berichtet sie das am Telefon aus Südamerika. Und da erzählt sie ihm: auf dem Flughafen hat sie ein Lied gehört, das sie irgendwie kannte.
Na jedenfalls zwingt sie den Vater dazu, etwas darüber zu erzählen. Sie fragt sich: „Was ist hier los? Wieso kenne ich so ein Lied?“
„Wie kommt das? Was kannst du mir dazu sagen? Sag mir mal was dazu!“
Am Ende erzählt er ihr dann doch was. Dann fragt sie ihn: „Wie hieß ich denn?“ Und dann sagt er ihr: „Ja, wir haben dich adoptiert.“
Und dann: „Wie hieß ich?“ Und dann findet sie tatsächlich…
Und dann sagt er ihr ihren Namen. Und dann guckt sie ins Telefonbuch und findet tatsächlich jemand mit diesem Namen im Telefonbuch und…
Sie ruft an.
Und dann verabredet sie sich mit dem… mit dem … [Onkel]
Jetzt kommt sie dahin in diese Familie, und für diese Familie, für die ist sie das kleine Mädchen – logischerweise! „Du bist die Maria von damals!“
Und die weiß erst mal gar nicht, wie ihr geschieht. Sie kann nicht leugnen: Irgendwas ist da, ja – sie hat ja auch das Lied erkannt, sogar mitsingen können. Irgendwie weiß sie: Irgendwas ist, geht hier vor sich – sie kann es ja nicht leugnen.
Aber gleichzeitig ist es absolut fremd! Gleichzeitig ist es total fremd! Was…?
Einerseits: Die Familie fängt an zu heulen, die Tante fängt an zu heulen: für die ist das so eine Art Wiedertreffen, Wiederfinden.
Das hat eine gewisse Logik und Zusammenhang – aber für das Mädchen doch aber nicht!
Gleichzeitig…
Gleichzeitig kann sie das alles nicht leugnen.
Und die sieht auch, daß die anderen ganz echt sind: daß die sofort wissen, was Sache ist und ihr auch helfen, die Verbindung wieder herzustellen. Und wie ganz selbstverständlich behandeln die anderen, die Familie da… – es ist Wahnsinn, wie selbstverständlich und…
Ja, aber… – Es ist schwer auszudrücken…
Und dann… Die berührendste Stelle ist dann, wie…
Scheißdreck!
Dann kommt sie…
Scheiße, mir tut alles weh. Mein Herz tut mir weh. Die ganze Zeit tut mir mein Herz weh.
Scheißdreck.
Na jedenfalls kommt sie dann an, steigt aus dem Auto aus, und dann siehst du da schon hinter der Gardine da die Schwester von der Mutter, die Tante. Die siehst du schon und…
Dann kommt sie raus in die Straße. Und dann guckt sie sich erst mal das Mädel, die Maria, einfach nur so an. Sie guckt sie sich einfach nur so an. Dann berührt sie sie einfach. Na ja, aber dieser Widerspruch: auf der einen…
Dann erkennt sie sie und dann schließt sie sie…
… in die Arme gleich so, ganz herzlich und innig – Wahnsinn.
Aber der Widerspruch: Für die Maria ist es ja nicht so: sie kann das ja noch nicht so sehen. Es sind ja eigentlich fremde Leute…
Aber gleichzeitig hat sie eine Ahnung oder weiß sie zumindest, daß da irgendwo…: Das hat eine gewisse Logik oder was – das weiß sie ja irgendwie.
Das ist ganz komisch, eine ganz komische Situation, ganz seltsam.
Einerseits ist es so, als ob sie sich da einfach nur öffnen bräuchte und einfach so dazu gehört. Vielleicht weiß sie das ja sogar, vielleicht macht sie das ja auch – aber das kann sie ja erst mal gar nicht, geht gar nicht.
Seltsam.
Na für die Tante ist alles klar. Am Ende stellt sich heraus, daß der Vater die mehr oder weniger entführt hat: daß die deutschen Eltern die entführt haben.
Wo die Tante sie in die Arme nimmt und sie küßt und ganz innig an sich drückt. So was ist immer Wahnsinn, so was ist immer so schön und überwältigend für mich. Immer wieder… Ja.
III. Hauptpart: Die Großmutter
III. Hauptpart, 1. Unterpart: Die Entdeckung des eigenen Lebens (16:37) (0:48)
Dieses plötzliche Entdecken, das erinnert mich auch an mich selber: als ob es da eine andere Welt gibt, von der du gar nichts weißt! Das fasziniert mich auch so: ich kann das gleichzeitig nachempfinden so sehr, aber ich nehme auch diese völlige Fremdheit wahr. Wenn du irgendwas entdeckst: es gibt es ja in dir drin, aber du weißt es nicht, du entdeckst es bloß in diesem Moment.
Es ist komisch! Dieses Phänomen, daß irgendetwas in dir drin ist… – Ach so, und der Film heißt auch so: „Das Lied in mir“. Das fasziniert mich irgendwie. Es ist Wahnsinn.
III. Hauptpart, 2. Unterpart: Erinnerung an vergessene Liebe (17:25) (3:14)
Meine Oma…
Irgendwie… Ich denke oft an sie… Und jedes mal…
Scheißdreck. Scheißdreck.
Ich kann überhaupt gar nicht leben, weil mir die Luft wegbleibt. Wahrscheinlich ist das die Erklärung.
Ich kann ja auch gar nichts fühlen, weil mir die Luft sofort wegbleibt, wenn ich was fühle.
Das ist vielleicht dieser Hintergrund, von dem ich immer spreche, dieser Nebel oder diese komische Schicht zwischen mir und dem eigentlichen Problem oder dem eigentlichen Leben.
Ich muß oft an meine Oma denken…
Als ob sie irgendwie… – mich ermahnen will…
Als ob sie mich ermahnen will, als ob sie…
Als ob sie… – Ich weiß es noch nicht genau, was es ist, aber oft muß ich an meine Oma denken so im Alltagsleben einfach so.
Und das ist immer als ob…
… als ob sie mir… sagen will… oder als ob sie mich…
– Ah ich kann das schlecht ausdrücken…
III. Hauptpart, 3. Unterpart: Oma ermahnt mich, am Leben festzuhalten (20:40) (1:39)
Irgendwann muß sie mir gesagt haben: „Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Thalers nicht wert.“
– Das muß sie mir irgendwann mal gesagt haben. Das heißt also: jedesmal, wenn ich einen Pfennig rumliegen lasse oder fallen lasse, dann hebe ich den auf oder ich kümmere mich dann da drum. Dann höre ich sie halt und…
… das ist dann so, als ob ich so ein 100prozentiges Vertrauen in sie hätte: daß ich sage: „Ja, was meine Oma sagt, …
… das stimmt. Das, was sie sagt, das stimmt, das kannst du einfach so befolgen. Das mußt du befolgen sogar. Das kannst du befolgen, das mußt du machen. Was sie sagt, das stimmt.“
Und deswegen mache ich das dann auch.
III. Hauptpart, 4. Unterpart: Oma spricht zu mir, gibt mir Zuspruch (22:19) (2:11)
Als ob sie mir sagen will oder sagt: „Ja, bleib dran, bleib dabei!“ Oder: „Ja, du hast ein eigenes Leben!“ oder: „Du bist jemand!“, oder: „Dich gibt es…
… dich gibt es wirklich!“
Ja: „Bleib dabei, bleib dran!“ Oder: „Nimm es ernst! Mach es wirklich!“ Es ist komisch: Ich denke dann an sie, und das ist dann wie eine mahnende Stimme.
Ja. Das ist so als ob ich… – Ich kann das schlecht sagen… Aber es ist wie… – Ja, eine echte Unterstützung oder eine echte Liebe oder ein echter Zuspruch.
Dann kommt wieder diese riesige… – weiß nicht… – Gleichgültigkeit oder Abgeschlossenheit oder… – Es ist ganz komisch. Und dieses wenige Vertrauen, das ich in mich selber habe oder das wenige, das von mir vorhanden ist, worin ich überhaupt Vertrauen habe könnte:
– das fehlt mir.
III. Hauptpart, 5. Unterpart: Einsicht (24:30) (1:25)
Ich hoffe, daß ich mich nicht davon abhalten lasse!
Na ja, aber das ist wirklich wie so eine… – das ist wirklich wie so ein Scheidepunkt oder so:
Es kann genau so gut sein, daß ich mich total zumache oder überhaupt nichts mehr… – Das ist wirklich so eine Art Entscheidung.
Und das kommt mir auch so utopisch vor: daß das möglich sein könnte, daß ich mich tatsächlich irgendwie öffne.
Wie diese Maria.
Das kann eben nur sozusagen von außen kommen: meine Oma gewissermaßen – die übernimmt dann so die Rolle von dieser argentinischen Familie.
Die spricht einfach zu mir.
Als ob es mich nur hätte geben können mit jemandem – jemand, der mir zuspricht.
Ja, nur mit Liebe im Prinzip.
Ohne diese Liebe bist du selber nicht da.
Und dann verödest du so wie ich jetzt veröde.
Ende (25:50)
Stunde der Wahrheit am 18.5.2012