Projekt: Richard Wagners „Ring der Nibelungen“ als Zeichentrickfilm
Wagners Opern schreien nach Verfilmung, doch besonders geeignet für das Genre Film – hier genauer gesagt für das Genre Zeichentrickfilm – ist „Der Ring des Nibelungen“ wegen der dort vorherrschenden Phantastik. Zwerge, Riesen und Götter lassen sich zeichnerisch nun einmal viel besser und eindrucksvoller darstellen als von Schauspielern. (Aber auch „Parsifal“ eignet sich als Zeichentrickfilm; man denke nur an die Szene, wo der von Klingsor geschleuderte Speer überm Haupt Parsifals in der Luft zum Halten kommt.)
Lars von Triers Inszenierung des „Rings“ in Bayreuth (2006) ist leider nicht zu einem erfolgreichen Abschluß gekommen. Das hat sicherlich damit zu tun, daß, wenn man tatsächlich werk- und wagnergetreu inszenieren will, der Aufwand einfach zu groß wird. Wie sehr ernst es Lars von Trier gemeint hat und wie angesichts der künstlerischen Gewissenhaftigkeit und dann des Scheiterns seiner Inszenierung gerade die Geeignetheit des „Rings“ für den Zeichentrickfilm aufgezeigt wird, geht aus Lars von Triers „Abtretungsurkunde“ hervor: „Siegfried und Wotan und Fafner und Brünnhilde und alle anderen sind wirklich und leben in einer wirklichen Welt. Sie sind in erster Linie keine Symbole oder Illustrationen oder Zierrat oder Abstraktionen. Sie alle besitzen eine Psyche, durch diese entstehen Konflikte und damit Einfühlungserlebnisse und Empfindungen des Publikums. Es kann durchaus von großer Wirkung sein, Wagners so menschliche Gottheiten sich im englischen Industrialismus oder im Dritten Reich tummeln zu lassen – aber besser wird das Stück davon nicht. Wir brauchen keine Parallelen! Die sind sogar direkt störend. Überlassen wir Parallelen und Interpretationen dem Publikum! Wenn Fafner dem Publikum eine Gänsehaut bescheren soll, dann ist es die verdammte Pflicht des Regisseurs, all sein Können für due Erzeugung dieser Gänsehaut einzusetzen. Wenn Siegfried ein Held war, dann muss er als solcher dargestellt werden, so unmodern, undankbar und politisch unkorrekt das auch wirken mag. Wollen wir Wagner, dann wollen wir Wagner. Also stehen wir dazu. Alles andere wäre feige. Wenn Wagner seine Inspiration aus der Zeit der Völkerwanderung bezogen hat, dann muss dies das Dogma sein, unter dem ein Regisseur sich ans Werk macht. Ist Wagners künstlerischer Ausgangspunkt ein Menschenbild, das wir heute nur mit Mühe hinnehmen können, dann muss die Aufführung sich seinen Ansichten fügen: Wagners ‚Ring‘ in den engen Panzer des modernen Humanismus zu pressen, wäre ebenso irreführend und falsch, wie sich im Klassiker zu suhlen, indem man sich über ihn lustig macht. Wagner hat aus den Mythen einen Mythos geschaffen, und wer sich davor fürchtet, soll die Finger davon lassen.“[1]
In Christian Thielemanns Buch „Mein Leben mit Wagner“ bekommt man einen Eindruck davon, wie diese Inszenierung ausgesehen hätte. Thielemann benennt die Ursachen des Scheiterns – und deutet seinerseits damit geradezu auf die Notwendigkeit einer Inszenierung des „Rings“ als Zeichentrickfilm: „Die Idee aber, den ‚Ring‘ als großes Illusionstheater zu begreifen und in einer Atmosphäre der ‚bereicherten Dunkelheit’ spielen zu lassen, hatte etwas ungemein Verlockendes. Lars von Triers Erklärung dafür war schlagend: Wenn im Stück A über B zu C führt, dann zeigen wir auf der Bühne nur A und C und überlassen B dem Zuschauer. Die Vervollständigung des Geschehens in den Köpfen der Zuschauer, das Publikum als notwendiger Bestandteil des Gesamtkunstwerks – Richard Wagner hätte jubiliert! Die technische Umsetzung dieses ‚schwarzen Theaters‘, dieses ‚Zaubertheaters’ freilich erwies sich als horrend kompliziert und hätte am Ende jeden personellen, finanziellen und zeitlichen Rahmen gesprengt. Sänger, die von Statisten hätten gedoubelt werden müssen, ein System von Gazeschleiern, durch das nicht nur die Sicht des Dirigenten eingeschränkt gewesen wäre, die schwindelerregende Choreographie der ‚Lichtflecken‘, und Videoprojektionen, um ‚A’ und ‚C’ kenntlich zu machen – je konkreter die
Vorbereitung wurde, umso höher türmten sich Fragen und Zweifel. Schließlich trat Lars von Trier zurück. (…) Eine Inszenierung wie die seine hätte nicht den winzigsten Fehler toleriert, heißt es darin, und dass er die theaterpraktischen Realitäten zu wenig berücksichtigt habe: ‚Ich behaupte nicht, dass es unmöglich gewesen wäre, durch meinen krankhaften Drang zum Perfektionismus aber wäre es die Hölle geworden.“[2]
Aus diesen Worten wird klar, daß das Genre Zeichentrickfilm für den „Ring“ optimal ist und Lars von Trier als Zeichentrickfilmregisseur seine Vorstellungen hätte verwirklichen können.
Warum es diesen Zeichentrickfilm längst noch nicht gibt, bleibt rätselhaft – zumal inzwischen die spektakuläre und erfolgreiche „Ring“-Inszenierung von La Fura dels Baus mit Zubin Meta [3] aus dem Jahre 2009 neue Tore eröffnete. Es ist an der Zeit, den „Ring“ noch ganz anders als bisher, genreübergreifend, zu inszenieren.
[1] zit. in: Christian Thielemann: Mein Leben mit Wagner, unter Mitwirkung von Christine Lemke-Matwey, München 2012, S. 147
[2] Christian Thielemann: Mein Leben mit Wagner, unter Mitwirkung von Christine Lemke-Matwey, München 2012, S. 146
[3] http://www.amazon.de/Richard-Wagner-Nibelungen-Blu-ray-Limited/dp/B00424NWIW/ref=pd_cp_d_0
(Daß das Schaffen Wagners im allgemein geeignet für das Medium Zeichentrickfilm ist, zeigen immerhin zwei biographische Zeichentrickfilme:
– Ludwig & Richard – Ein Märchen aus der deutschen Geschichte, Zeichentrickfilm, 1970
– „Richard – Im Walkürenritt durch Wagners Leben“, Zeichentrickfilm, 2013)