Peter Töpfer: Vom formal-leeren Exzeß zum inhaltlich-vollen Exzeß

Als ich beim Schreiben an meinem Buch „Max Stirner und die Tiefenwahrheit als post-psychotherapeutisches Selbstermächtigungsverfahren. Bernd A. Laskas LSR-Projekt und die Weiterentwicklung der im Kognitiven, Affektiven und Korporellen operierenden Neuen Aufklärung“[1] auf das Thema des formalen Exzesses, dem ich in meiner Jugend gefrönt habe und dessentwegen ich in der Sowjetunion wie Meyerhold von Alexander Dymschitz wegen Formalismus hingerichtet worden wäre, gekommen bin, fiel mir ein, daß ich dazu ein paar Videos beisteuern könnte. 

Ich war als Jugendlicher besonders von der formalen Technik des Bildes im Bild fasziniert. Aber ich empfand es immer als billig und stümperhaft, wenn von den Autoren nur zwei, drei oder – wie in Hesses „Steppenwolf“ – fünf Dimensionen benutzt wurden. Die Begrenzung der Zahl der Bilder hielt ich für inkonsequent, inadäquat und unästhetisch-unsymmetrisch.

Ich wollte eine Art Unendlichkeit der Bilder in den Bildern bringen, wie sie in Spiegelsälen zu finden ist: Ein Spiegel reflektiert das Licht bzw. das Bild zu einem anderen, und so geht es unendlich hin und her. Gibt es eine konsequentere art pour l’art?

Unendlich? Ich wollte nicht wahrhaben, daß in einem Spiegelsaal die Anzahl der Bilder doch nicht unendlich ist, weil sie immer kleiner werden und irgendwann nicht mehr sichtbar sind. Das widersprach meiner Vorstellung und meinem Ideal; ich war enttäuscht, mußte mich desillusionieren.

Die „Symmetrie“ hatte paradoxerweise in der Gegenüberstellung von absoluter Fülle und totaler Leere bestanden: Aus eine Art malewitsch‘schem „Schwarzem Quadrat“[2] (ein Bild, das mich damals faszinierte) sollte durch das ständige und quasi-ewige Hineinsetzen eines Bildes in das Bild, das sich zwangsläufig verkleinern würde, schließlich das Nichts werden. Es ähnelte der Umkehrung der laterna magica: Nicht aus einem winzigen Punkt wird ein Bild, das die gesamte Projektionsfläche einnimmt, sondern andersherum wird aus der total ausgefüllten Fläche am Ende ein unendlich winziger Punkt.

Aber was ich gut fand, war, daß in diesem Spiegelsaal bis zu diesem Punkt der Unsichtbarkeit und des notwendig stattfindenden Endes der Reflektion es eigentlich – bis auf das Mobiliar im Saal und die Spiegel selbst mit ihren Rahmen – überhaupt keinen Inhalt gab. Nur das befriedigte meinen künstlerischen Anspruch. Dieser bestand im Grunde genommen in der perfekten Darstellung des vollkommenen Nichts.

Aber ich mußte als Jugendlicher zugeben, daß mir auch andere, nicht so konsequente Beispiele von Bildern in Bildern gefielen. Und es war wohl kein wirklicher Zufall, daß die grafische Gestaltung der Langspielplatte, die ich damals viel hörte – „Ummagumma“ von Pink Floyd (1969)[3] – ein ähnliches Spiel trieb: Man sah einen der vier Musiker vor einem Bild sitzen, in dem genau dieses Gesamtbild zu sehen war, mit allerdings der Besonderheit, daß dieser vor dem Bild sitzende Musiker in der Abfolge der sich leider schnell verkleinernden Bilder jedes mal ein anderer Musiker war. Es war also nicht das Bild, das sich im Bilde wiederholte und langsam verschwand, sondern es war jedesmal ein anderes Bild. Das verstieß zwar gegen meinen formalen Fanatismus, rang mir aber Respekt ab: Das fand ich gut und witzig.

Rechts vom Musiker neben dem Bild führte der Blick hinaus auf eine Wiese. Es war eine Art Blick in die Realität diesseits der Bilder, eine Art Inhalt diesseits des formalen Spieles. Aber in diesem Bild – das es ja auch nur war – waren ebenfalls alle vier Musiker abgebildet, deren Konstellation in dem links sich verkleinernden Gesamtbild – dessen Teil das Wiesen- bzw. Realitätsbild war – ebenfalls jedes mal wechselte.

Die Pink-Floyd-Musiker – zumindest der mit ihnen zusammenarbeitende Grafiker – müssen eine mentale Verfassung gehabt haben, die mit meiner vergleichbar war, sie haben jedenfalls auch ein Gefallen an diesem formalen Trick gehabt.

Warum nun sollte ich jetzt ein paar Videos zu diesem Thema als Reminiszenz an meine Jugend beisteuern? – Weil ich mich vorausschauend auf eine solche Beisteuerung ein paar mal mitten in der Arbeit des Abschreibens und inhaltlichen Erfassens von Stunden der Tiefenwahrheit[4] gefilmt habe: Ich habe mich dabei gezeigt, wie ich auf die ein paar Jahre zuvor stattgefundenen Stunden der Tiefenwahrheit reagiere. Als ich nun im Stirner-Tiefenwahrheits-Buch über den inhaltsleeren Formalismus schrieb, mußte ich an diese Reaktionsvideos denken, denn sie stellten Bilder in Bildern dar, und ich konnte sie nun endlich einmal sinnvoll verwenden.

Wenn die Tiefenwahrheit u.a. auch ein literarisches Projekt ist, kann –  diesmal mit Inhalt – zu neuen formal-experimentellen Ufern aufgebrochen bzw. an die Experimente aus der Jugendzeit mit einer Variante der Bild-im-Bilde-Technik angeknüpft werden.

Der künstlerische Ausdruckswille ist bei mir niemals ganz zum Erliegen gekommen – was wiederum dem Persistieren des Nichts trotz allen inhaltlichen Exzesses geschuldet ist – und beim Schreiben des Buches wieder erwacht, so daß ich ihm auch im Rahmen dieses Buches einen kleinen Raum geben wollte.

In diesen Reaktionsvideos sah man zumindest eine Bilddimension mehr als die des ersten Videos selber: das Video der Tiefenwahrheitsstunde. Wenn ich jetzt noch ein Video machen würde – mit diesem Text hier verwandt –, das dieses Reaktionsvideo und das ursprüngliche Video der Stunde der Tiefenwahrheit zeigen würde, dann hätten wir schon drei Bilddimensionen. Das ist zwar immer noch läppisch im Vergleich zu der Unendlichkeit, die mir als Jugendlichem als Ideal vorschwebte, aber immerhin: Für eine leicht sentimentale Rückschau auf die künstlerischen Ideen, die ich als Jugendlicher hatte, sollte es reichen. Es könnte ein kleiner Beitrag zu einem Portrait of the Artist as a Young Man sein, in dem Joyce – ich kann mich nicht erinnern – sicherlich auch eine Porträt-im-Porträt-Technik angewandt hatte.

Und da dieses Buch auch eine Art intellektuelle Biografie ist, sollte ein solcher Beitrag nicht fehlen. Ich lasse es mir also nicht nehmen, aus Anlaß meines Stirner-Tiefenwahrheits-Buches und der darin enthaltenen Kapitel 7.1.1. Die neue philosophische Form, 7.1.2. Der neue philosophische Inhalt, 5. Zurück zur eigenen Theorie – Wahrheitstheorie – und Weiterentwicklung zur Tiefenwahrheits-Theorie und 6. Beginn der Tiefenwahrheits-Praxis, in denen der in meiner Jugend gefrönte künstlerisch-formale Exzeß interpretiert wird, ein kleines Formexperiment zu veranstalten und das Videomaterial aus drei zeitlichen Dimensionen in einem Video zu vereinen. Die in Videobildern enthaltenen Videobilder ähneln den Bildern in Bildern, die ich als Jugendlicher so faszinierend fand. Worin diese Faszination bestand, habe ich in besagten Buch-Kapiteln erklärt: Der rein geistig formale Exzeß entspricht einer emotional-existenziellen Inhaltslosigkeit, sprich: Leere.

Diese Leere wiederum ist nichts anderes als das Nichts, von dem Vincent Reynouard im Kapitel 1.2. Aufklärung, Gegenaufklärung und Neue, Radikale Aufklärung des Buches spricht und das sich zwischen den beiden Endpolen unseres Lebens ausbreitet. Mit besagtem formalen Exzeß bin ich diesem Nichts begegnet bzw. habe es kompensieren oder ausfüllen wollen – abgesehen davon, daß ich es künstlerisch ausdrücken, also dem Nichts eine Stimme geben wollte.

In dem dabei entstandenen multidimensionalen Video wird der einstige leere Formalismus vom Bild im Bilde wortwörtlich mit vollem Inhalt ausgegossen: Ich spreche davon, „daß jede Zelle mit Schwere ausgegossen ist“.

Das heißt nichts anderes, als daß das Nichts mit Depression identisch ist. Und in dem Moment, wo die Leere mit Wahrheit bewußt gemacht wird, strömt in die gefühllose inhaltliche Leere ein fühlbarer Inhalt hinein, der nichts anderes ist als das, was den ursprünglichen Inhalt niedergewalzt hat: die durch Schocks erzeugte Schwere. Etwas hat mich als Existenz und „Eigner“ (Stirner) komplett geplättet.

In der Tiefenwahrheitsstunde vom 6. Januar 2017, die Grundlage des Videos „Der Frohgemute. Verlust und Rückgewinnung von Lebensfreude und wahrem Selbst (Max Stirners ‚Eigner‘)“ (Teil 2 der Serie „Vom leeren Formalismus zum vollen Inhalt“), heißt es bei 1:05:40:

„Ah, ich bin so wie, wenn ein Körper schlapp einfach nur noch schwer nach unten sinkt in einer Flüssigkeit, im Wasser irgendwo. Ich habe tausendmal geträumt, tausendmal geträumt, wie ich sinke und schwer nach unten falle, völlig leblos.“[5]

In meinem Prosastück „Todesnähe und Tod, Hoffnung und Angst“ beschreibe ich diesen Vorgang und einen dieser Träume detailliert.[6]

Von da an – von dieser Vernichtung an – bin ich so gut wie nur noch abgehoben und habe keine Chance mehr, die Bedürfnisse meines „Eigners“ (Stirner) zu erfüllen. Da der Eigner – neben dem Abgehobenen – noch als spärlicher Rest vorhanden ist, kommt es zu einer Spaltung in Fühlenden und Abgehobenen bzw. Davonschwebenden, die funktional identisch mit der Spaltung in den fanatischen Formalisten und den später im Laufe der Tiefenwahrheitspraxis immer inhaltsvoller werdenden Peter ist.

In der Tiefenwahrheitsstunde vom 28. Oktober 2016, die Grundlage des Videos „Große Klappe – und kein Eigner dahinter“ (Teil 1 der Serie „Vom leeren Formalismus zum vollen Inhalt“) ist, heißt es bei 33:29:

„Immer, immer gibt es diese Stimme, die mir sagt: ‚Peter, du schwebst über den Dingen. Du hast mit nichts [etwas] zu tun, mit gar nichts hast du es zu tun: weder mit Traurigkeit noch mit Zielen für dein Leben.‘ Die [Stimme] sagt mir nur immer: ‚Du schwebst über den Dingen.‘ Ich schwebe nur über den Dingen. Und da unten passieren manche Dinge, die ich zum Teil nicht leugnen kann, aber ich habe gar keine Verbindung dahin. […] Ich bin wie gespalten. Mich gibt es da unten. Und dann gibt es mich da oben: wie abgelöst, wie so drüber hinwegschwebend. Und ich kann gar nicht mein richtiges Leben leben, weil ich da oben rumschwebe. Ich kann gar nicht dazu stehen oder drin sein in dem, der ich eigentlich bin oder sein sollte. Das fällt mir so schwer, das zu sagen [daß ich unten bin und unten sein will]. Mir fällt das so schwer, dazu zu stehen: zu dem da unten. Das fällt mir so schwer. Ich bin wie gespalten, wie zwei Personen: da unten der, der da mit den ganz normalen Dingen kämpfen muß oder sich auseinandersetzen muß, und da oben der, der darüber wegschwebt. [Der hat] keine Verbindung.“

Es fällt mir so schwer, weil ich so unendlich beschwert bin. Ich komme unter der Last nicht hervor. Alles, was ich tun kann und muß, ist, mich unter der Last wahrzunehmen und in dieser Wahrnehmung mit dem Rest des dies alles fühlenden Eigners wieder lebendig, energiereicher, leichter und fähiger zu Aufrichtung (Stirners „Empörung“) zu werden.

Dieses Wahrnehmen kommt einer Auffüllung des Nichts gleich. Die Progressivrock-Band Emerson, Lake and Palmer hat 1971, also zwei Jahre nach Erscheinen von Pink Floyds „Ummagumma“, eine Punkklassikrockadaptation des Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgski veröffentlicht[7]. Dieser ist gewissenmaßen ein Transgenre-Kunstwerk, weil es Bilder als Vorlage für Tonkompositionen benutzt. Es geht auf dem Cover zu dieser Platte zwar nicht um Bilder in Bildern, aber darum, daß leere Formen mit Inhalt – nämlich Musik – ausgefüllt werden. Das ist kunsthistorisch und -theoretisch doppelt nicht korrekt, weil Mussorgski Gemälde seines Freundes Wiktor Hartmann musikalisch- synästhetisch nachzeichnete und Mussorgskis Musik schon bestand, hat aber – wenigstens vom Plattencover her – zur seelisch-leiblichen inhaltlichen Auffüllung der existenziellen Leere durch Tiefenwahrheit eine Parallele.

(April 2025) 


[1] Peter Töpfer: Max Stirner und die Tiefenwahrheit als post-psychotherapeutisches Selbstermächtigungsverfahren. Bernd A. Laskas LSR-Projekt und die Weiterentwicklung der im Kognitiven, Affektiven und Korporellen operierenden Neuen Aufklärung, 2025, Links #

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Schwarze_Quadrat

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Ummagumma

[4] Kein künstlerisches Peter-Post-, sondern ein post-philosophisches Peter-Töpfer-Projekt: Tiefenwahrheit: Alle möglichen Links…

[5] http://tiefenwahrheit.de/stunde-der-tiefenwahrheit-vom-6-januar-2017-ganzer-text/, http://tiefenwahrheit.de/zusammenfassung-der-stunde-der-tiefenwahrheit-vom-6-januar-2017/, https://odysee.com/@toepfer-peter:7/2017_01_06-Frohgemute-Bild-im-Bild:c

[6] Töpfer: Gedichte, S. 138 # Link zu FTF

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Pictures_at_an_Exhibition_(Emerson,-Lake-%26-Palmer-Album)

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