Tiefenwahrheit und Kunst (Kleist, Amphitryon, Wagner, Thomas Mann)
Tiefenwahrheit und Kunst. Die symbolistische Verfehlung der Künstler Kleist, Wagner und Thomas Mann. Dramaturgische Tricks als verkürzende und ausweichende Entsprechung zur Tiefenwahrheit
Zu Kleists Theaterstück „Amphitryon“, dem „witzig-anmutvollsten, geistreichsten, tiefsten und schönsten Theaterspielwerk der Welt“ (Thomas Mann), und Richard Wagners Musikdramen
Ein Text in zwei Teilen:
1. Kleist – der mathematische Irrsinn
2. Wagner geht – im Gegensatz zu Kleist – bereits unter die Tricks und Symbole in die Gefühle
Dieser zweiteilige Text ist einer von „Zwei Begleittexten zum Erscheinen des neuen Buches von Peter Töpfer: ‚Max Stirner und die Tiefenwahrheit als post-psychotherapeutisches Selbstermächtigungsverfahren. Bernd A. Laskas LSR-Projekt und die Weiterentwicklung der im Kognitiven, Affektiven und Korporellen operierenden Neuen Aufklärung‘ (2025)“
Präambel zu diesen beiden zwei Begleittexten
Der erste der zwei Begleittexte: Eine Neue Utopie – die keine ist, sondern reine Topik: linksradikaler Ultra- und Fundamentalkonservatismus. Ernst Noltes Große Ambivalenz: eine geschichtsphilosphische Annäherung an das zentrale Thema des Buches mit einem ernährungsphysiologischen und einem physiopsychologischen Exkurs
1. Kleist – der mathematische Irrsinn
Ich habe mir seit meiner Kindheit Gedanken über mich, meinen problematischen Zustand und wie dieser gelöst werden könnte, gemacht und nenne dies in meinem Buch „Max Stirner und Tiefenwahrheit“i die „Eigentheorie“. Gleichzeitig habe ich aber auch Hilfe im Außen gesucht und mir verschiedene „Fremdtheorien“ angeschaut. Ich wollte mich aber nicht nur in philosophischen und psychologischen Theorien wiedererkennen und möglicherweise Antworten auf meine Problematik finden, sondern so, wie ich selbst Prosa und Lyrik schrieb, in denen ich die Gänze meiner Situation zu erfassen und herzustellen versuchte, beschäftigte ich mich auch mit „Fremdliteratur“. In meiner „Eigenliteratur“ war ich schon damals bemüht, meine Lage auf den Punkt zu bringen und alles zu sagen. Das konnte sich aber damals nicht weiterentwickeln, und es fiel – außer bei erstaunlichen Ausnahmen – eher bescheiden aus. Aber der klare Wille zum totalen Ausdruck war da; ich würde ihn nie verlieren, er führte mich später, in der Tiefenwahrheitspraxis, schließlich zu viel mehr Erfolg.
Ich wollte ein Wirrwarr – ein „Wirrsal“, wie es Richard Wagner in der „Götterdämmerung“ Brünnhilde, die zunächst völlig in Unkenntnis ihrer Lage verlorenen ist, sagen läßt –, im Grunde genommen eine aus den Fugen geratene familiäre Konstellation beschreiben und aufklären, verstehen und damit für mich heilen; ich wollte den Wirrwarr auf diese Weise „aufheben“, wie es die Hegelianer sagen. Daß das rein beschreibende und analysierende Bemühen für eine wirkliche Lösung nicht ausreichend sein kann, das ahnte ich zwar undeutlich – die Verstrickungen stellten sich ja auch als gar nicht darstellbar heraus –, aber von einem Wissen darüber war ich zu der Zeit noch weit entfernt.
So wie ich selbst schreibend bemüht war, so beschäftigte ich mich also auch mit „Fremdliteratur“, mit der Belletristik anderer. Davon erzähle ich in meinem Buch „Stirner und Tiefenwahrheit“ als einem Teil meiner intellektuellen Biographie, etwa in bezug auf meine Identifikation und dem Versuch einer Kontaktaufnahme mit einem Literaten, Günter Kunert. Dieser interpretierte mein Verhalten später in einem Kurzessay „Doppelgänger“ als Ausdruck einer Persönlichkeitsspaltung.ii Ich hatte als Jugendlicher das Bedürfnis, mich in der Literatur anderer selbst wiederzufinden; sie sollte mir helfen, mich selbst zu verstehen und Worte für mich zu finden.iii
Lektüre als Jugendlicher und Relektüre heute von Kleists „Amphitryon“
Woran ich aber beim Schreiben meines Buches „Stirner und Tiefenwahrheit“ nicht dachte – was mir dabei seltsamerweise nicht einfiel! –, das war ein Theaterstück, das bei der Beschäftigung mit Fremdliteratur eine sehr große Rolle gespielt hat. Ich habe mich mit ihm ganz besonders identifiziert; es übte eine enorme Faszination auf mich aus. Das war „Amphitryon“ von Heinrich von Kleistiv. Thomas Mann, dessen Aufsatz „Kleist ‚Amphitryon’“v – aus dem ich im folgenden einiges zitieren werde – ich damals nicht gelesen habe, ging es sehr ähnlich: „So habe ich das Stück geliebt, vergessen und es gepriesen, während ich es vergessen hatte, weil keine Zeit und Gelegenheit war, es wieder zu sehen, zu lesen.“ Warum Thomas Mann das Stück liebt, das habe er jetzt beim Schreiben und Analysieren des Textes glücklich herausgefunden: „Meine Liebe zu ihm, geglaubte Liebe, Treue, durch Jahre hin, genoß, während ich seine feinen Linien nachzog, das Glück des Warum.“vi
Ich habe das Stück nicht nur nicht vergessen – Thomas Mann ja auch nicht wirklich –, sondern ich habe es immer innerlich „gepriesen“. Das Stück schlummerte immer – all die Jahrzehnte über – in mir. Ich wollte es immer einmal wieder lesen, habe mir das auch immer mal wieder vorgenommen, ohne es je zu tun. Die Bedeutung, die es für mich hatte, war mir stets bewußt: Es hatte etwas mit meinem eigenen tiefsten – aber durcheinandergekommenen – Inneren zu tun. Ich wußte in etwa, warum es so wichtig für mich war: in nichts weniger als in meiner Großen Verwirrung und einer möglichen, angestrebten Auflösung der Verwirrung. Ich habe das Buch zwar nie wieder angerührt, aber es immer wieder mit mir genommen, wenn ich umgezogen bin und dabei regelmäßig meine Bibliotheken abgeschafft habe. Dieses Buch habe ich nie weggeworfen, und das nicht etwa, weil ich es mir 1977 in Erfurt unter Arkaden in einer bibliophilen, feinen Lederfassung gekauft und es vielleicht einen antiquarischen Wert hatte.

Es hatte 33 DDR-Mark gekostet, wie ich gerade sehe, aber das war es mir als armem Jugendlichen voll wert; es sollte ein Kleinod – ein Bewahrer meines Herzens – für mich sein. (Kennengelernt hatte ich das Buch bestimmt in einer Reclam-Ausgabe für 2,50 DDR-Mark.) Das allein reichte aber wohl nicht, um mir für mein Buch „Stirner und Tiefenwahrheit“ einzufallen.
Thomas Mann hat das Stück – im Gegensatz zu mir – eines Tages wiedergelesen: „Nun hat ein Gedenkfest mich angehalten, mir Zeit und Gelegenheit zu nehmen; ich las es wieder – und das Gesetzmäßige in dem Verhältnis meiner Natur zu diesem Gegenstande hat sich bewährt: ich bin entzückt, ich glühe. Das ist das witzig-anmutvollste, das geistreichste, das tiefste und schönste Theaterspielwerk der Welt. Ich wußte, daß ich es liebe – gottlob! ich weiß es nun wieder.“vii Mann wußte also wieder um des Stückes Bedeutung für ihn. Diese war von der meinen verschieden, hatte nicht deren Tiefe, bezog sich nicht auf Manns eigenes Innere – zumindest sagt er davon nichts. Seinen bereits erwähnten Aufsatz über das Stück, 63 Seiten lang, nennt Thomas Mann im Untertitel „Eine Wiedereroberung“. Die Vokabel „Wiedereroberung“ nimmt in meinem Buch „Stirner und Tiefenwahrheit“ – auch „Wiederaneignung“ – eine prominente Stelle ein. Doch während sie sich bei Mann auf Kleists Stück bezieht, das er aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn, verloren hatte, bezieht sich die Vokabel bei mir auf mich selbst, dessen Ich in seiner Verwirrung verloren gegangen war. Mann will das Stück „wiedererobern“; ihm fällt nicht auf, daß er damit auch – ein wenig – sich selbst wiedererobert.
Ich werde es nun so wie Mann halten und etwas über dieses Kleist-Stück, das ich nun auch – wenigstens zum Teil – wiedergelesen habe, schreiben. Aber was entsprach bei mir Manns „Gedenkfest“ als Erinnerungsauslöser, als Auslöser einer Schreibarbeit? – Es war die Tatsache, daß mir eines Tages, nachdem mein Buch „Stirner und Tiefenwahrheit“ längst gedruckt vorlag, auffiel, daß ich das Kleist-Stück in ihm nicht einmal erwähnt habe, obwohl es doch so bedeutungsvoll ist, und ich vergleichbare, aber weniger bedeutende Literatur sehr wohl im Buch bespreche. Das brachte mich also darauf, das Buch wieder einmal zur Hand zu nehmen. Dafür habe ich etwas Mut aufwenden müssen, denn es repräsentiert für mich einen gewissen Schmerz. Doch war ich jetzt neugierig, ob ich mich daran erinnern würde können, was ich damals, als Jugendlicher vor 48 Jahren, konkret in dem Text gesehen hatte, auch wenn ich das Ergebnis nicht mehr in meinem Buch verwenden würde können; ich wollte jetzt jene große Bedeutung genauer begründen.
Ich habe mir dafür bei der Lektüre viele Notizen und Skizzen gemacht; ich wollte das Stück genau verstehen.
# Abb. Notizen
In einem Formtief versuche ich irrigerweise, die Bedeutung des „Amphitryon“ mathematisch zu begründen
Aber darin lag eigentlich die falsche Herangehensweise; das hätte ich mir sparen können. Es geht ja eigentlich gar nicht so sehr darum, das Stück ganz zu verstehen, sondern vielmehr darum, genau nur das im wesentlichen nachzuempfinden, was durch die Lektüre – wie vollständig auch immer – ausgelöst wird. Ein Teil des Stückes und des Verständnisses des Stückes würde dafür ausreichen; diese Teile allein begründen schon die Bedeutung. Warum wollte ich es jetzt trotzdem und überhaupt nachvollziehen, „seine feinen Linien nachziehen“? Ich wußte doch deutlich um seine Bedeutung, worin diese für mich gelegen hatte, wußte um „das Glück des Warum.“ Ich hätte doch nur gehörig in mich hineinlauschen und mich erinnern müssen – ohne es zu lesen –, um das Wissen um die Bedeutung zu vertiefen! Dennoch ging ich die mathematische Arbeit an – ich muß wohl ein Formtief gehabt haben oder nicht ganz bei mir gewesen sein.
Ich konnte mich bei der jetzigen Lektüre nicht mehr daran erinnern, in welchem Maße ich das Stück damals, als Jugendlicher, gelesen, erfaßt und verstanden hatte; ich vermute, in einem höherem als jetzt. Aber ich glaube nicht, daß ich es auch damals ganz verstehen, d.h. ganz – Punkt für Punkt, Schritt für Schritt – nachvollziehen konnte. Ich habe meine Zweifel, daß überhaupt jemand – auch Thomas Mann nicht – das kann, bin aber natürlich zu einer Beurteilung nicht imstande.
Ich habe es jedenfalls auch jetzt nicht verstanden und es auch gar nicht weiter bis zu Ende zu lesen versucht, als ich endlich besagte falsche Herangehensweise realisiert habe. Bei der Hälfte etwa habe ich es aufgegeben. Mir fielen nun die Schuppen von den Augen, daß ich die gesamte Handlung natürlich überhaupt nicht verstehen muß und daß es gar nicht um die Gänze der Handlung geht. Schon das wenige, das man versteht, reicht aus, um es als total verrückt zu erkennen. Thomas Mann nennt es eine von Kleist betriebene „Psychologie der Vernichtung“viii: „Amphitryon wird ‚vernichtet‘, er [Amphitryon] gebraucht das Wort ein übers andere Mal.“ Thomas Mann spricht von dem Drama als einer „Verstörung der Herzen und Geister“ix. Ich muß jetzt schon sagen, daß die Herzen und Geister schon vorher, vor der Lektüre des Stückes, verstört sein müssen, um es sowohl – auch nur ansatzweise – verstehen zu können als auch, um es als die Darstellung einer solchen Verstörung sehen zu können. Das Stück kann niemanden vernichten, der nicht schon vernichtet ist. Aber es kann dabei helfen, Verstörung und Vernichtung ein ganz kleines bißchen zu beheben.
Auch wenn ich das Stück wie Thomas Mann ganz und gar nicht „witzig“ finde (obwohl es tatsächlich auch Humor hat; Mann benutzt das Wort „witzig“ aber nicht nur im alten Sinne von „geistreich“, sonst hätte er nicht auch „geistreich“ geschrieben), stimme ich mit Thomas Mann aber bei „tiefst“ schon eher überein. Daß es am Ende nicht wirklich in die Tiefe – in Richtung Tiefenwahrheit – geht, werden wir später sehen; es hat etwas mit einem Schwert oder mit einem Buschmesser zu tun …
Die Frage also, warum ich von dem Kleist-Stück so fasziniert gewesen war, so daß ich es nie vergessen konnte und warum es für mich als 17-jährigen so eine Bedeutung gehabte hatte, kann klar beantwortet werden: Es ging dabei um mich selbst, um meine eigene Verrücktheit. Ich muß „Amphitryon“ als „inkommensurabel verrückt“ – wie ich mich damals sicherlich ausgedrückt habe – empfunden und verstanden haben. Das Stück beschrieb genauestens, analysierte und sezierte eine für mich eigentlich nicht beschreibbare, nicht analysierbare und nicht sezierbare, eine entgegen dem streng strukturierten Anschein auseinanderfallende – eben verrückte – Lage.
Habe ich in meiner Jugend gewußt, ob es Kleist am Ende wirklich gelungen war, eine eigentlich nicht darstellbare oder höchst schwierig nachvollziehbare Lage in seiner Gänze darzustellen? Kann man als Verrückter die Gesamtheit der Verrückungen darstellen? – Ich kann es natürlich auch heute nicht wissen.
Der Trick als symbolische Abkürzungen bei der Darstellung von Wirklichkeit 1
Ich weiß auch nicht mehr, ob es mir aufgefallen war oder ob ich es als beachtenswert empfand, daß sich Kleist für die Darstellung des – was ich damals für gesichert hielt – Nicht-Darstellbaren eines großen Tricks bediente, der eine riesige Bedeutung für die Darstellbarkeit hatte. Ich war wohl zu sehr von den im Stück dargestellten verrückten Konstellation eingenommen, so daß ich mir über die dramaturgischen und philosophischen Voraussetzungen seiner Konstruktion keine weiteren Gedanken machte.
Ich habe mir – weil ich wohl in einem Formtief gesteckt hatte – das Stück nun also doch noch einmal auch im Hinblick auf seine innere Logik, also aus einem technisch-dramaturgischen Blickwinkel näher angeschaut. Ich hatte wohl immer noch – wie mein jugendliches Alter Ego – einen kleinen Ehrgeiz, diese Frage – ob das Stück wirklich Sinn hat, ob es in sich logisch ist – für mich zu klären. Ich wollte erfahren, ob durch eine Beantwortung dieser technischen Frage die Verrücktheit entschärft werden kann. Diese technische Herangehensweise hat dann aber doch wieder auch einen Vorteil: Sie erlaubt uns, zu den emotionalen Aspekten der Verrücktheit zu gelangen, die ja das Schlimme und Problematische an der Verrücktheit ausmachen. Vom Kognitiven ins Affekte hinunterstoßen: Das würde das Verständnis vertiefen. Ich bin aber auf technischem Gebiet zu keinem Ergebnis gekommen, weil ich auch gar nicht mehr die innere Bereitschaft und Befähigung hatte, den ganzen von Kleist dargestellten Irrsinn nachzuvollziehen.
Kunst und Tiefenwahrheit
Die Fragestellung führte mich aber nun zu einer anderen, die nämlich das Verhältnis von Kunst und Tiefenwahrheit als einer Methode der Aufhebung von Verrücktheit und damit den Unterschied von Kunst und Tiefenwahrheit betraf. Eine gemeinsame Wurzel haben Kunst und Tiefenwahrheit unbedingt. Denn was mir nun – im Gegensatz zu damals als Jugendlicher – bei der technischen Analyse überdeutlich ins Auge fiel und was mein Interesse hervorrief, war, daß sich Kleist zur Darstellung und zur Aufschlüsselung dessen, was eigentlich fest verschlossenen ist, bestimmter „Trickchens“ bedient, wie es Thomas Mann ausdrückt, und die es in der Tiefenwahrheit nicht gibt. Anstatt „Tricks“ kann man auch „dramaturgische Hilfsmittel“, „Symbole“ oder „Kunstgriffe“ sagen, die mit den Zaubertricks der Magier verwand sind. Mit diesen überspringt Kleist die für die beabsichtigte Wirkung eigentlich notwendigen Konstruktionsschritte. Er baut die Handlungsstruktur zwar sehr aufwendig auf, verkürzt dann aber Sachverhalte und größere Prozeßetappen mittels „künstlerischer Mittel“. Das, was weggekürzt wird, ist aber das Entscheidende, weil effektiv die Entwicklungsschritte ausmachend. Die Tiefenwahrheit verkürzt nicht nur – sie betreibt den Vollzug in ganzer Intensität und Extensität.
Die Verkürzungen sollen dem Zuschauer – bzw. besser dem Leser, denn vom Zuschauen allein wird man sicher nicht schlau, ich halte das Stück für nicht spielbar – dabei helfen, das Ganze zu erfassen und am Ende auch zu einer Lösung des Rätsels, das dieses Stück und die Wirklichkeit, die es darstellt, ist, zu kommen. Die Frage ist aber, ob der Leser paradoxerweise dadurch nicht noch mehr in eine Konfusion gerät. Oberflächlich mag er sich mit den Tricks und der in ihnen wohnenden Erklärungskraft zufrieden geben. Aber am Ende bleibt er doch konsterniert, ja überwältigt und sprachlos angesichts der kleist’schen Zauberei. Außerdem ist aber sowieso die Frage, inwiefern der Leser überhaupt einen Zusammenhang der Verrücktheit des Stückes (bzw. der in ihm dargestellten Wirklichkeit) mit seiner eigenen Verrücktheit herstellt, und ob, falls ja, dies alleine zu einer Entschärfung seiner Verrücktheit beitragen kann.
Darin – in der Verwendung von Symbolen in der Kunst – lag der große und entscheidende Unterschied zur Tiefenwahrheit, in der zwar ganz sicher, vor allem im Anfangsstadium, spontan auch Symbole benutzt werden, diese sich aber immer mehr in eine jeweils primitivere Form verwandeln, sich stetig verdünnen und schließlich der nackten, nicht-symbolischen Wahrheit Platz machen.
Ich kann nur vermuten, aber ich denke, es ging Kleist unterm Strich auch gar nicht unbedingt um eine kohärente und in sich logische Ausführung der Handlung. Er wollte sicher auch gar nicht lösen, sondern er wollte nur darstellen und die Zuschauer oder die Leser sogar noch mehr in die Verrücktheit hineinjagen bzw. ihre eigene spüren lassen. Dazu mußte das Stück nicht perfekt sein. Aber wie gesagt: Ich kann das nicht beurteilen; ich habe es nie ganz gelesen und nie versucht, es richtig zu verstehen. Vielleicht ist es ja tatsächlich in sich komplett logisch – natürlich nur unter Verwendung von Tricks. Doping aber führt zur Disqualifikation.
Der eigentliche Trick
Es passieren in Kleists Stück Sachen, die es in unserem Leben nicht gibt. Der Trick ist, daß das Stück mit Göttern arbeitet, die schon mal die Logik auch außer Kraft setzen können. Welche Logik? – Daß ein Etwas nicht zweimal existieren kann, also auch keine Person. Man könnte von einer Götterlogik sprechen, aber diese, manifestiert in den Taten der Götter, können wir nicht wirklich und befriedigend nachvollziehen, so einfach z.B. eine Verwandlung (oder hier Verdoppelung) auch sein mag. Und das ist auch der Punkt, warum ich mich jetzt im Alter noch einmal mit dem Stück auseinandersetze und worum es mir in diesem Text wirklich nur geht: So sehr Kleist im Mikroskopischen der menschlicher Kommunikation arbeitet, so unendlich grob ist – aufgrund des Tricks – seine Darstellung, die eine künstlerische ist, im Vergleich mit einer nicht-künstlerischen Erzählung, wie es z.B. eine Tiefenwahrheitsliegung (Stunde der Tiefenwahrheit) ist, die ich im II. Teil meines Buches „Stirner und Tiefenwahrheit“ darstelle.
Natürlich bleibt hier die wesentliche Frage, wie hoch der Verwandtschaftsgrad von aktivem Schreiben des Stücks, seinem passiven Rezipieren und aktiver Tiefenwahrheit überhaupt ist.
Ich möchte eigentlich nur mit dem Vergleich von Tiefenwahrheit und dem Kleist-Stück im besonderen und Kunst im allgemeinen die Tiefenwahrheit darstellen.
Kleist will sagen, wie alles – wir Menschen und unser Zusammenspiel – in unserer Zivilisation wirklich und zur Gänze ist, was den gesamten Irrsinn ausmacht, worin dieser Irrsinn tatsächlich in seinen feinsten Verästelungen besteht – auch wenn dies bei ihm im Unterschied zur Tiefenwahrheit unterm Strich noch grob gezeichnet bleibt. Ich habe die Tiefenwahrheit (damals, als Jugendlicher, noch im Stadium der „Wahrheitstheorie“) überhaupt nur wegen dieses Irrsinns erfinden und entwickeln müssen. (Ganz gewiß ist Kleists Darstellungsdrang auch mit dem Wunsch nach einer Lösung verbunden – ohne diese je gefunden zu haben.) Aber Kleist kann es nicht, ohne sich jener Mittel zu bedienen; er muß über die Komplexität hinweggehen; er ist zu schummeln und zu zaubern gezwungen. Doch selbst wenn er es ohne Doping geschafft hätte – es wäre sinnlos gewesen und ergebnislos geblieben.
Ich weiß nicht, ob Kleist wenigstens ahnte, daß das ganze verwirrte Chaos, die vollständige und unlösbare Verknotung ganz anders behoben werden kann, nämlich mit dem Schwert – mit dem, was Stirner das „Juchhe“ und das „Jauchzen“ nennt und worin laut Bernd A. Laska exakt der Übergang von der Alten zur Neuen Aufklärung, von der Zivilisation zum Hier und Jetzt, liegt: „Stirners Postulat, die (alte) Aufklärung, die im kognitiv-rationalen Bereich operierte, sei am Ende ihrer Möglichkeiten und deshalb durch eine neue, im affektiv-emotionalen Bereich operierende – und damit ‚praktisch‘ werdende – fortzusetzen.“x
Ich glaube nicht, daß Kleist eine Ahnung von diese Lösung hatte, sonst hätte er erst gar nicht versucht, mathematisch und dann aber außerdem noch Magie anwendend an die Sache heranzugehen und ihrer Herr zu werden. (Genauso wie Hegel und die Hegelianer nicht ahnen, wie sich das Chaos beheben läßt – ganz sicherlich nicht durch gedankliches „Aufheben“ unendlicher Widersprüche. Sie glauben, damit in der Wirklichkeit etwas ausrichten zu können, verwechseln dabei aber nur Gedachtes und Wirkliches.) Daß Kleist aber klar war, sowohl mit seinem mathematischen als auch magischen Latein am Ende zu sein, beweist die Tatsache, daß er sich umgebracht hat.
Auch wenn Kleist keine Ahnung von der Lösung hatte, so würdige ich auf jeden Fall seine Suche nach einer solchen, seinen Versuch mittels Literatur. Auch Günter Kunert „findet“ in der Literatur, speziell in der Darstellung des „Doppelgängertums, keine befriedigende Lösung“xi. „Aber“, wie ich in „Stirner und Tiefenwahrheit“ schreibe, „die vertiefende Beschäftigung mit dem Phänomen der Spaltung – zumal, wenn sich die Spaltungsanteile noch genügend ähneln und die Zuhilfenahme eines symbolischen Doppelgängers noch möglich und hilfreich ist – hat unter Einbeziehung der Gefühle und des Leibes durchaus Aussicht auf Erfolg. (…) Immerhin hat Kunert [und Kleist] das Problem als solches anerkannt.“xii
Und genau diese Gefühle werden bei der Findung des technischen Verständnisses des Textes freigesetzt. Das beweist wieder einmal die Richtigkeit der tiefenwahrheitlichen Herangehensweise über das Kognitive bzw. das Philosophische.
Ich weiß es zwar nicht, weil ich es nicht mehr kybernetisch nachvollziehen kann, aber alleine die Lage nur darzustellen, dürfte Kleist schon nicht einmal nicht wirklich gelungen sein. Oder liegt, wenn dieses Stück noch nie wirklich richtig aufgeführt worden ist – „gespielt, wie es gespielt zu werden verdient“ (Thomas Mann) –, wirklich nur an der Dummheit (oder Unverrücktheit) der Regisseure? Thomas Mann bat darum, ihn „wissen zu lassen, wenn eine solche Aufführung im Werke ist. Ich reise weit, um sie zu sehen“xiii. Fakt ist: Thomas Mann hat – wo ich längst schon das Handtuch geschmissen habe – die Verästelungen und die hohe Komplexität ziemlich gut analysiert und wiedergegeben. Er hat das technische Wirrwarr ziemlich gut auseinandergenommen – soweit ich das überhaupt beurteilen kann. Sagen wir so: Thomas Mann bemüht sich – bis hin zu grammatikalisch-semantologischen Analysenxiv – sehr um eine Entstrüppung, das zumindest kann ich beurteilen.
Es geht ja in Kleists Stück nicht etwa nur um die Darstellung des Chaos im sozialen, im äußeren Bereich, sondern selbstverständlich vor allem um die Darstellung des Chaos im individuellen, im inneren Bereich: Wer versteht was von den Vorgängen? Das unendliche Chaos der Personen und ihrer Doppelgänger ist nur ein Abbild des unendlichen Chaos und der endlosen Verwirrung im Inneren. Die individuelle Verwirrung liegt aber letztlich nicht im kognitiven Unverständnis der chaotischen Struktur, sondern in der Zerstörung und dann in der Abwesenheit des Ichs begründet. Hegel versucht sich auf seine Weise in der Frage von An- und Abwesenheit des Ichsxv, Thomas Mann spricht vom „Austreiben des Selbstbewußtseins, der Ich-Durchdrungenheit, des natürlichen und lebensunentbehrlichen Gefühls der Person und Identität“.xvi Was Kleist als Psychologen aber nur halbbewußt und zu kompliziert ist, ist, daß die Menschen nicht Spielbälle von Göttern sind, sondern ihrer selbst – ihrer abgetrennten Selbste – bzw. ihrer Eltern. Da er das nicht wirklich weiß, ein gutes Stück über eine Kind-Eltern-Beziehung aber außerdem kaum in einem Theater aufführbar sein dürfte, greift er zum Zaubertrick mit den Göttern und verkürzt dramaturgisch die Darstellungs- und Erklärungskette. Erst dadurch, daß Kleist den Trick mit den Göttern anwendet, die die Menschen verrückt machen, können die Menschen zu Spielbällen gemacht und sie ihrer Person beraubt und als solche auf der Bühne oder im Text dargestellt werden. Die Menschen sind komplett der Heteronomie, der Fremdbestimmung, ausgeliefert und verwirren sich unentrinnbar: Einem Gott ist es möglich – so der Kunstgriff –, einem Menschen die Identität zu rauben und ihn zu usurpieren, von ihm Besitz zu ergreifen.
Konkrete Auseinandersetzung mit Kleists Stück. Die zur Erfassung der Bedeutung des Stückes eigentlich unnötige Verständnisanalyse des Stückes
Sosias‘ Ich-Verlust
Zur Erklärung: Merkur stiehlt Sosias das Ich, um seinem Chef, Jupiter, besser dienen, nämlich diesem Amphitryons Frau, Alkmene, zuführen zu können. „In Amphitryon verbirgt sich der Götter höchster: verliebt unter seinem Stande, herabgestiegen, um sich die Zärtlichkeit eines Menschenkindes in der Maske des Erdenmannes zu erschleichen.“ (Thomas Mannxvii) Sosias ist Amphitryons Diener und muß ausgeschaltet werden. Doch auch alle anderen Menschen werden bis zur Ichlosigkeit in die Verwirrung getrieben, damit – das ist zumindest der Hintergrund des Tricks – die Götter ihren Spaß haben können.
Als erstem geht Sosias die Identität verloren. Das bewerkstelligt also der – wie Thomas Mann sagt – „zum grausamsten Schabernack aufgelegte Merkur“xviii: „Merkur: Wer geht dort? Sosias: Ich. Merkur: Was für ein Ich? Sosias: Meins, mit Verlaub. Und meines, denk ich, geht hier unverzollt gleich andern. Mut Sosias!“xix Für mich ist das kein „Schabernack“, sondern – auch wenn sich das erst noch herausstellen wird – teuflischer Belustigungssadismus.
Gleich wird sich zeigen, daß Sosias doch seinen Zoll bezahlen wird, der nämlich in der Aufgabe seiner selbst aufgrund der Gewalt Merkurs gegen ihn besteht. Da nützt ihm auch seine Selbstermutigung nichts und auch nicht sein Protest unter Berufung auf – ausgerechnet die Götter, deren einer ja gerade im Begriffe ist, ihn böse zu verarschen: „Merkur: Hat man von solcher Frechheit je gehört? Du wagst mir schamlos ins Gesicht zu sagen, daß du Sosias bist? Sosias: Ja, allerdings. Und das aus dem gerechten Grunde, weil es die großen Götter wollen; weil es nicht in meiner Macht steht, gegen sie zu kämpfen, ein andrer sein zu wollen als ich bin. Weil ich muß Ich, Amphitryons Diener sein, wenn ich auch zehenmal Amphitryon (…) wäre.“xx – Wir begegnen hier – „ich bin, was Gott will“ – schon ein erstes mal dem irrigen Motiv der Identität von Ich und Gott, die sehr problematisch und kein Zeichen von Autonomie und Souveränität ist und eigentlich bereits in der Alten Aufklärung gelöst worden war, aber heutzutage sogar bei vermeintlichen Vertretern der Neuen Aufklärung (beim Reichianer Peter Nasselstein z.B.) fröhliche Urständ feiert.
Das findet Thomas Mann nun nicht mehr „witzig“, es ist für ihn „kein Spaß“ mehr, das Lachen vergeht ihm. Was hier geschieht, ist, so Mann, kein „gutmütiger, sondern ein raffiniertes und komisch-peinigendes Seelenexperiment einschneidendster Art, eine Heimsuchung, unbegreiflich und unmäßig verstörend für das schlichte Wesen, das sie trifft. Denn was der arme Sosias von jener ersten kindlich-kecken Ich-Aussage an, mit der er den Anruf seines Spiegelbildes beantwortet, zu erleiden hat, das ist erträglich und sogar erheiternd für uns Zuschauer, die wir wissen, daß es sich um eine Mummerei handelt, die mit Sicherheit ihre Aufklärung finden und einen versöhnlichen Ausgang nehmen wird, würde aber, wirklich erlebt, einen jeden von uns um den Verstand bringen – wie denn ja auch Sosias in einer späteren Szene, als er seinem Herrn Bericht erstatten soll, ganz offenbar geisteskrank ist und, klinisch gesprochen, einen schwersten Fall von Schizophrenie zur Anschauung bringt. Was Jupiters Diener [Merkur] da zum Schutze der Lust seines Herrn mit einer Menschenseele anstellt, ist darum so grausam, weil er sich nicht damit begnügt, sein Opfer zu einem scheinbaren und äußerlichen Verzicht auf seine Identität zugunsten des Gegners, aus Angst vor weiteren Stockschlägen, zu pressen: kraft seines Allwissens, seiner verblendenden Fähigkeit, die individuellen Bewußtseinsschranken zu durchdringen, überzeugt er ihn [Sosias] wirklich und innerlich, und die Stationen des Leidensweges sind so herzbewegend, weil der Poet sie uns durch Worte und Aufschreie, die aus der Tiefe kreatürlichen Seins kommen, ganz zu erfühlen gibt.“xxi
Mann findet – nachdem er noch verniedlichend von „erheiternd“ spricht – sehr schöne Worte für das äußerst ernste Geschehen, aber später spricht er dann doch wieder von der „Heiterkeit seiner [Kleists] Mystik, Innigkeit seines Witzes“xxii. Mich hat das als Jugendlicher nicht erheitert, eher sprachlos und schwindlig gemacht; eine Mystik aber – eine mathematische – fand ich auch in dem Stück; ich war enorm erstaunt darüber, wie man so etwas aufschreiben kann.
Doch die „Stationen des Leidensweges“ könnten noch viel „herzbewegender“ als bei Kleist dargestellt werden, wenn eben keine „Mummerei“ angewendet würde, der Leidensweg nicht verkürzt und die Wirklichkeit ganz und nackt dargestellt würde: Reale „Aufschreie [Urschreiexxiii], die aus der Tiefe kreatürlichen Seins kommen“, würden uns noch viel mehr „zu erfühlen geben“. Von diesen haben Kleist und Mann keine Ahnung gehabt. Ich spreche hier natürlich nicht nur von einer Darstellung einer Tiefenwahrheitsliegung und der in ihr zum Ausdruck kommenden Wirklichkeit, sondern von der Tiefenwahrheit eines Jedermanns.
Ich war als Jugendlicher zwar noch sehr weit entfernt von realen Aufschreien, aber ich legte größten Wert darauf, immerhin kognitiv nicht den Weg der Verkürzungen zu gehen. Ich wollte – wie ich es heute in meinem Formtief versuche – Kleist prüfen und eventuell bei einer logischen Verfehlung ertappen. Ich habe in meinen eigenen literarischen Produktionen stets höchste Konkretheit und Extensität walten lassen; Abstraktes und Allgemeinplätze habe ich gehaßt. Ich war in meiner Ichlosigkeit regelrecht angewiesen auf absolut Konkretes; ohne dieses hätte ich gleich einpacken können. Dazu ein Auszug aus meinem Buch „Stirner und Tiefenwahrheit“: „Ich habe zu der Zeit nach der Entwicklung der Wahrheitstheorie – also als etwa 18jähriger – ultranaturalistische Prosastücke geschrieben, in denen auf vielen Seiten ein bestimmtes kurzzeitiges Geschehen – wie z.B. eine gescheiterte Verabredung oder ein gegenseitiges Verpassen – geschildert wurde. Dafür hatte ich eine Leidenschaft, die dem Kunsthegelianismus ähnelte. Der tiefere Sinn davon hatte wohl darin gelegen, daß ich eine gescheiterte Kommunikation gründlich analysieren und dadurch wieder ‚ganz machen‘ wollte – im Sinne von ‚heilen‘ –: Das schien der gemeinsame Nenner mit der hegel’schen Gänze gewesen zu sein. Ein zentraler Begriff in meinem Denken war der des ‚Mißverständnisses‘. Im Erfassen der Gänze und der nachträglich-analysierenden Aufklärung von gescheiterten Kommunikationen scheint der Wille zu liegen, endlich alles zu sagen und das Mißverständnis aufzuklären und auszuräumen. Dieser symbolistisch-künstlerische Wille hat sich dann etwa zehn Jahre später in die Tiefenwahrheits-Praxis verwandelt. Wem das alles galt – was eigentlich darunterlag und welche Kommunikation wieder hergestellt werden sollte –, wurde dann klar: der Liebe zur Mutter – und nicht so sehr dem Verpassen einer Verabredung mit meiner damaligen Freundin.“xxiv
Wir werden auf das „Mißverständnis“ – dann aus der Feder Thomas Manns – zurückkommen. Dann wird es aber wieder ein „durch ein Märchenrequisit herbeigeführtes“ Mißverständnis sein. Meine Mißverständnisse waren real und wurden in meiner Prosa realistisch und höchst präzise dargestellt, bedurften keines „Märchenrequisits“ mehr – ganz im Gegenteil: Die Verwendung von symbolischen Tricks, die Abkürzung des ganzen Geschehens, erschien mir amateurhaft und würdelos. In der späteren Tiefenwahrheit sollte schließlich alles Symbolische komplett verschwinden.
Was Thomas Mann nicht sagt – zumindest hier nicht –, ist, daß es diese Mechanismen des Um-den-Verstand-Bringens nicht nur im Zusammenhang mit Göttern im Theater, sondern im realen Leben gibt. Kleist aber ging es nur in letzter Linie um die Lustbeschaffung der Götter – das ist das Motiv Jupiters, Amphitryons Identität zu stehlen (was durchaus zu philosophischen Spekulationen Anlaß gibt) –, sondern um das Verrückt-werden von Menschen – um seine eigene Verrücktheit, die er mitteilen und für die er Mitempfindende gewinnen wollte.
Die Menschen sind aber nicht Spielbälle der Götter, wenn sie ihres Selbstes weitestgehend verlustig gehen und fortan zwischen den Fremd- und Eigensteuerungen zerrieben und verrückt gemacht werden, sondern sie sind Spielbälle der realen, konkreten familiären Umstände. (Sie können sehr wohl zu Spielbällen von „Göttern in weiß“ werden, z.B. im MK-Ultra-„Forschungsprogramm“xxv, aber was in der heutigen Widerstandsbewegung übersehen wird, ist, daß das MK-Ultra auf staatlich-geheimdienstlicher von dem epidemieartigen auf familialer Ebene übertroffen wird.) Dies dazustellen, davon ist Kleist weit entfernt; das kann er nicht. Deswegen bedient er sich des Symbols der Götter; diese stehen stellvertretend für die Eltern. Man kann – wenn man es möchte und wenn das Sinn haben würde – das Kind-Eltern-Geflecht als die wahre Ursache des inneren Chaos darstellen, das geht. Aber Kleist konnte das nicht.
Kleist hat von Anfang gar nicht die Macht dazu, denn er zieht, wie wir später sehen werden, sein Existenzrecht als Machtursprung aus der Gnade von Göttern – er ist viel zu sehr entfremdet von sich selbst. Nicht er selbst mit seiner Selbstwahrnehmung steht für sich, sondern er benötigt dafür die Rechtfertigung von Göttern. Sie wollen angeblich, daß er lebe, nicht er selbst will das. Kleist ist in der gleichen Lage wie sämtliche Theisten, auch wie der vermeintliche Neuaufklärer Peter Nasselsteinxxvi, der nicht sich selbst als Grund seiner selbst sieht, sondern das „Orgon“ – ein Synonym für Gott. Letztlich ist Nasselstein „Diener des Orgons“. Beide, Sosias (Kleist) als auch Nasselstein, wünschen sich und träumen davon, sie selbst und selbstreguliert zu sein (ein „Eigner“, wie Max Stirner es nennt), aber die nötige Kraft dafür nehmen sie nicht aus sich und ihrer Selbstwahrnehmung. Sie definieren ihr Ich von vornherein als Diener Gottes – Sosias: „Ich bin Sosias, weil es die großen Götter wollen“ – bzw. des Orgons. Nasselstein betont zwar immer wieder, daß Ich und Orgon identisch sind, aber eins davon ist dann überflüssig; ich würde vorschlagen, das Orgon. Das Ich bleibt dann problematisch genug, weil es von Gott überlagert ist: Dieses „Über-Ich“ ist stärker als das „Ich“: Thomas Mann – von Amphitryon sprechend – sagt genau das: „Der Allherr ist auf vollere, auf idealistisch-wesentlichere Weise Amphitryon als dieser, er übertrifft ihn im Er-selbst-Sein.“ Deshalb könne Jupiter Amphitryon auch so leicht „ausstechen, und ihm, dem wahren Amphitryon, fliegt alle Anerkennung entgegen, nicht dem wirklichen.“xxvii
Wir werden auf die Idee von Gott als höchster Instanz der Fremdsteuerung noch einmal zurückkommen, und zwar, wenn es um das Ende Kleists Stück geht, um die „Auflösung“, die Erlösung – die bei Kleist aber eben keine ist, so, wie das Orgon der Orgonomen auch keine Lösung des heteronom-autonomen Konfliktes, d.h. unserer Spaltung, sein kann.
Ich schalte mich jetzt in diesem Text aus der Generalbetrachtung aus, kümmere mich – wo ich nun einmal die Arbeit im Formtief geleistet habe – um die technischen Details und melde mich später bei der Analyse des Ende des Stückes damit wieder, komme dann auf das wesentliche und die eigentliche Bedeutung des Stückes zurück.
Die Götter denken gar nicht daran, einen Menschen zu sich selbst zu machen und die Spaltung zu unterwinden, was Kleist eigentlich weiß – ganz im Gegenteil läßt er sie weiter deren „Eigner“ aus ihnen herausprügeln: „Merkur: Bist du Sosias noch? Sosias: Ach laß mich gehen. Dein Stock kann machen, daß ich nicht mehr bin; doch nicht, daß ich nicht Ich bin, weil ich bin. Der einz’ge Unterschied ist, daß ich mich Sosias jetzo der geschlagene fühle. Merkur: Hund, sieh, so mach ich kalt dich. (Er droht.) Sosias: Laß! Laß! Hör auf, mir zuzusetzen. Merkur: Eher nicht, als bis du aufhörst – Sosias: Gut, ich höre auf. Kein Wort entgegn ich mehr, recht sollst du haben, und allem, was du aufstellst, sag ich ja. Merkur: Bist du Sosias noch, Verräter? Sosias: Ach! Ich bin jetzt, was du willst. Befiehl, was ich soll sein, dein Stock macht dich zum Herren meines Lebens.“xxviii
Der Orgonom Nasselstein fühlt sich vom Orgon ganz sicherlich nicht entselbstet, schon gar nicht auf verprügelnde Weise, aber brauchen tut er es sehr wohl als Konstituante. Er, der angeblich Stirner nicht fehldeutet und ein Neuaufklärer ist, ist gottgläubig.
Sosias (Kleist) klagt noch, fleht ausgerechnet wieder die Götter an, deren einer, Merkur, ihm das Selbst nimmt: „Ihr ew’gen Götter dort! So muß ich auf mich selbst Verzichten jetzt leisten, mir von einem Betrüger meinen Namen stehlen lassen?“ Kleist wendet, weil er des Ich-Verlustes nicht wirklich bewußt ist und diesen nicht beschreiben kann, hier wieder einen Trick an: Er symbolisiert und verniedlicht den Ich-Verlust zum Namens-Verlust: „Ich bin entsosiatisiert, wie man Euch entamphitryonisiert“, sagt Sosias später zu seinem Herrn, wenn es diesen seinerseits erwischt haben wird – dann nicht durch Merkurs physische Gewalt, sondern durch Jupiters psychische Gewalt.
Merkurs Prügel erinnern daran, wie das Nibelungen-Arbeitsheer und Mime von Alberich verprügelt und versklavt werden, doch zu Richard Wagner kommen wir später.
Thomas Mann sagt zu Sosiassens „grauenhaftem Erlebnis“, es sei die „Konfrontierung mit seinem Ebenbild, jenem Ich, das seine Stelle eingenommen hat und ihn aus dem Sein, dem ‚Schwer-sein‘, aus seiner Identität verdrängt.“xxix
Dann klagt und fleht Sosias (Kleist) nicht mehr, sondern versucht, sich gegen den Ich-Verlust mit verzweifelter Wut zu wehren, sich aufzulehnen, sich zu „empören“ (Stirner): „Fahr zur Höll! Ich kann mich nicht vernichten, verwandeln nicht, aus meinern Haut nicht fahren, und meine Haut dir um die Schultern hängen.“ Sosias versteht die Welt nicht mehr: „Ward, seit die Welt steht, so etwas erlebt? Träum ich etwa?“ Er versucht, sich seiner zu vergewissern: „Bin ich soeben nicht hier angelangt? Halt ich nicht die Laterne?“xxx
Im meinem Buch „Die Wahrheit – sie sagen und in ihr leben“xxxi beschreibe ich meine damalige Ichlosigkeit:
Manchmal kommt es zu regelrechten Attacken des Unwirklichseins. Dann stellt er sich allen Ernstes folgende Fragen: „Bin ich das, das da jetzt dieses oder jenes tut? Warum soll ich das sein? Was tue ich hier überhaupt? Warum bin ich jetzt hier an dieser Stelle? Warum nicht gerade woanders? Ich könnte doch genau so gut woanders sein! Was macht es denn aus, daß ich gerade hier an dieser Stelle stehe oder gehe?“
Die ganze Szenerie (ganz konkret die Straße, durch die er pseudogeht, der Platz, auf dem er pseudosteht) und daß er in sie geraten ist, erscheint ihm völlig zufällig. Zu nichts hat er eine Verbindung. Es fließt nichts zwischen ihm und der Welt. Alles ist nur leere Kulisse.
Nun schaut er in seiner Verzweiflung die Kulisse an und erwartet von ihr, daß sie ihm ein Gefühl des Wirklichen gibt, was sie natürlich nicht kann. Die arme Kulisse ist völlig überlastet! Doch er fleht sie an: „Straßen, bitte, sagt mir, wer ich bin! Sagt mir, was ich hier in euch mache, wozu ich durch euch gehe!“
Einmal passierte mir folgendes: Ich fuhr mit dem Fahrrad nach hause.
„’Nach hause’? Ist das mein Zuhause? Was ist ein Zuhause? Das soll mein Zuhause sein? Wohin fahre ich? Warum fahre ich überhaupt in diese Richtung? Was treibt mich? Sollte ich nicht lieber wo anders hin fahren? Ich könnte doch genau so gut ganz wo anders hin fahren! Vielleicht sollte ich das ja auch, aber wohin soll ich fahren?… Was will ich dort?“
Und da überkam mich wieder dieser absurde Eindruck: Ich war ein Nichts, ich fühlte nichts, ich wußte nichts. Alles, was ich wußte, war: „Das, falls es mich doch (noch) geben sollte, bin ich nicht! Das hier kann ich nicht sein!“
Ich fuhr. Trotz aller Absurdität und bei aller Sinnlosigkeit fuhr ich weiter. Ich prüfte mich: „Trittst du jetzt in die Pedale?“
Ich drückte etwas stärker, beschleunigte, merkte etwas mehr, ja.
Mein Fahrrad fuhr schneller, ja. Auch merkte ich meine Muskeln arbeiten, ja. Aber davon verschwand die Frage nicht: „Bist du dir sicher, daß du jetzt hier auf dem Fahrrad sitzt?“ Ich war mir ganz und gar nicht sicher.
Eigentlich stellte ich mir diese Frage gar nicht, denn gab es überhaupt ein du? Nein, das gab es nicht – ich war ein Nichts.
„Save me from the nothing I’ve become
Bring me to life
I’ve been living a lie,
There’s nothing inside
Bring me to life.“
(Rette mich von dem Nichts, das ich geworden.
Erwecke mich zu Leben.
Mein Leben war eine Lüge, in mir ist nichts.
Erwecke mich zu Leben.)
Amy Lee (Evanescence)
Im Buch „Max Stirner und Tiefenwahrheit“ zeige ich, wie ausgerechnet ein anderer entschiedener Fürsprecher der „Selbstermächtigung“ – der „Wiedereroberung“ des „Eigners“ –, nämlich Bernd A. Laska, ichlos ist. Nur Ichlose können Sehnsucht nach „Wiederaneignung“ haben, aber die meisten dieser Ichlosen haben diese Sehnsucht verdrängt. Deren Nicht-Sehnsucht bedeutet nun nicht, daß sie ein Ich hätten.
Doch Sosias (Kleist) muß klein beigeben und resignieren. Wilhelm Reich würde sagen: Unter der Revolte liegt die Resignation; sie ist das tiefere, das primäre Gefühl. Die Revolte ist etwas Oberflächliches, wenn auch Notwendiges, wenn es um die Wiederaneignung geht. „Sosias: Und als ich mich der Pforte nähern wollte, nahmst du den Stock zur Hand nicht, und zerbläutest auf das unmenschlichste den Rücken mir, mir ins Gesicht behauptend, daß nicht ich, wohl aber du Amphitryons Diener seist. Das Alles, fühl ich, leider, ist zu wahr nur; gefiel’s den Göttern doch, daß ich besessen wäre.“
Jetzt ist Sosias endgültig in der Ichlosigkeit angekommen: Er hält für „wahr“, was Merkur ihm sagt.
Kleist verliert aber seinen Humor nicht, läßt Merkur sagen, nachdem Sosias seine eigenen Handlungen beschrieben hat, um sich verzweifelt fragend zu vergewissern: „Was du gesagt hast, Zug vor Zug, es gilt von mir – die Prügel ausgenommen.“
Alkmenes Ich-Verlust und Resignation, Tiefenspaltung und menschliches Marionettendasein
Resignieren wird bald auch, völlig in die Irre geführt – Thomas Mann beschreibt es wunderbar bis in alle Einzelheiten –, Alkmene. Thomas Mann: „Sie demütigt sich, sie ist nun bereit, sich selbst, dem Gefühl, das eins ist mit ihr, zu mißtrauen, sie will glauben, daß ihr ein anderer ‚erschienen‘, wenn er, Amphitryon, auf der Leugnung seines Besuches bestehen bleibt. Sie bringt über die Lippen, was ihr Herz nicht faßt, logisch bezwungen durch die Gewalt der Zeichen.“xxxii Aus dem Semantiker Mann wird jetzt auch noch der Semiotiker.
Thomas Mann erfaßt das dramaturgische Hilfsmittel der (falschen, transzendenten) Logik: Alkmene und alle anderen Menschen werden von den Göttern mit „Logik“, also mit fester und unerschütterlicher Überzeugung vom Falschen, mit psychisch-kognitiver Gewalt – in den Irrsinn getrieben. In der Wirklichkeit diesseits der Kunst geschieht das aber mit emotionaler Deprivation.
In Kleists Stück sagen jetzt alle Menschen Dinge, sprechen sie Wörter aus ihren Köpfen heraus, die ihre eigenen Bäuche und Herzen nicht mehr verstehen können. Sie sind tiefengespalten. Amphitryon und alle anderen sind nur noch Marionetten und zappeln an den Strippen der Götter herum: Nur so, nur mit diesem Bild, das Kleist entwirft und das nur ein Symbol ist, kann er sich den realen Irrsinn vorstellen und ihn entsprechend darstellen. Kleist hat drei Jahre nach Erscheinen von „Amphitryon“ (1807), also 1810, das Bild von den Marionetten in seinem Text „Über das Marionettentheater“ weitergezeichnet und erklärt. All sein Bemühen hat nie zu einer Unterwindung seiner eigenen Tiefenspaltung führen können.
Auf zwei Weisen kann und soll laut Kleist das – wie es auf Wikipedia heißt – „natürliche Verhalten“, also der Eigner, wieder hergestellt werden, die beide aber m.M.n. nicht die geeigneten dafür sind: „[In ‚Über das Marionettentheater‘] wird […] die These aufgestellt, dass entweder völlige Abwesenheit von Bewusstsein (wie der ‚Gliedermann‘ des Marionettentheaters) oder ein absolutes, ‚unendliches‘ Bewusstsein (wie ein Gott) das gewünschte ’natürliche‘ Verhalten erzeuge. Vollendete Anmut und Natürlichkeit besitze demnach jemand, der sich entweder völlig unbefangen und unbewusst wie ein Kind verhalte oder aber in Aufhebung der Folgen des Sündenfalls dieses ideale Bewusstsein wiedererlangt habe: ‚[…] so findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so, dass sie, zu gleicher Zeit, in demjenigen menschlichen Körperbau am reinsten erscheint, der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewusstsein hat, d. h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott.‘ Der Erzähler zieht daraus die Schlussfolgerung: ‚Mithin […] müssten wir wieder vom Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen?’“xxxiii
Das ist aber das Problem, das Kleist und alle anderen Theisten haben. Wenigstens bringt Kleist es selbst schön auf den Punkt: Der mystisch-übersymbolische „Baum der Erkenntnis“ nämlich ist es nur, von dem sich Kleist die Erlösung (die mystisch-übersymbolische „Unschuld“) versprechen kann. Er macht eine falsche Dichotomie auf: gar kein Bewußtsein (maschinell-mechanisch-materialistische Scheinexistenz) versus unendliches Bewußtsein (mystisch idealisierte Scheinexistenz). Es gibt aber eine tatsächliche „Erkenntnis“ (Bewußtsein), doch die liegt unter und diesseits aller Dichotomien, und das ist die Tiefenwahrheit. Kleist trifft in dieser Dichotomie eine Entscheidung: für die mystisch-idealistische Lösungsvariante („Baum der Erkenntnis“); die mechanistische erscheint ihm dann doch etwas zu trocken. Aber er weiß nicht, daß diese Lösungsvariante nur reiner Geist ist, daß die „Folgen des Sündenfalls“ nicht à la Hegel „aufgehoben“ werden können, es aber einen wirklichen Ausweg aus der Marionettenhaftigkeit und Ichlosigkeit des Menschen gibt – eine Art Mittelweg zwischen gar keinem Bewußtsein und unendlichem Bewußtsein –, der nämlich in der „Fortsetzung der Alten Aufklärung, die im kognitiv-rationalen Bereich operiert, durch eine Neue, im affektiv-emotionalen Bereich operierende Aufklärung“ liegt, wie es Laska formuliert.
Die Marionetten sind „das Gegenteil des Ichs. (…) Die im Text erzählten Episoden sind Bilder der Unidentität im Sinne fehlender Autonomie.“xxxiv Kleist kann sich die Lösung und den ungespaltenen Menschen nur rein mechanisch-materiell oder rein geistig vorstellen – und stellt das dann entsprechend am Ende des „Amphitryons“ dar. Er entscheidet sich dann für die geistig-geistliche Variante, weil die mechanische ganz offensichtlich all zu simplistisch wäre. Daß es zwischen mechanischem „Bewußtsein“, also der rein kybernetisch-maschinellen Steuerung, und geistig-göttlichem „Bewußtsein“, als der Steuerung von oben – beides heteronomes „Bewußtsein“ und Steuerung –, noch ein ganz anderes Bewußtsein, nämlich ein echtes, eignerisch-stirneristischesBewußtsein und eine autonome Steuerung geben kann, davon weiß Kleist nichts. Wobei noch offen bleibt, ob Kleist hier überhaupt Menschen und nicht Kunstpersonen bzw. Schauspieler meint, ob er nicht Wirklichkeit und Kunst, Fakt und Fiktion durcheinanderbringt, wie es Richard Wagner ständig tutxxxv. Aber wer denkt, es ginge bei Kleists vermeintlich ästhetischen Ausführungen nur um die Kunst, der irrt. Mindestens halbbewußt ist die Kunst für Kleist nur Stellvertreter und Symbol für das Leben.
Was Thomas Mann als „Logik“ bezeichnet, kann, solange Kopf und Herz gespalten sind, keine wirkliche Logik, nur eine grausame und unerbittliche Pseudologik sein. Diese Pseudologik kann nur durch Autoritäten vorgetragen werden, heißen sie „böse Mutter“ oder ersatzweise böser „Gott Jupiter“. Ich weiß nicht, ob das Thomas Mann bewußt war. Er hätte noch besser, als er es schon erstaunlicherweise dank seiner hohen Intelligenz tut, diese Pseudologik entlarven und ihr die menschliche Logik (Feuerbach), besser noch die eignerisch-egoistische Logik (Stirner) gegenüberstellen müssen. Er hätte dann das Übermaß an Verzweiflungsgefühlen, die durch In-die-Irre-Führung verursacht werden, dieser sadistischen Pseudologik zuordnen können. Eine solche radikale und bis ans Ende gehende Auseinandersetzung von und mit Logik wird im II. Teil meines Buches „Max Stirner und Tiefenwahrheit“, das die Wiedergabe einer Tiefenwahrheitsliegung ist, dargestellt. Die erschöpfende logische Betrachtung führt dort – gemäß der laska’schen Definition der Neuen Aufklärung – ins Affektive, wo das Spaltungsproblem tatsächlich gelöst wird.
Exkurs: Über die Tiefenwahrheitspraxis (von Dr. Konrad Immelmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Tiefenwahrheitxxxvi)
Töpfers „Die Auseinandersetzung von und mit Logik“ nenne ich „logische Kohärenzarbeit“. Diese besteht darin, daß Inkonsistenzen fixiert und die intellektuelle Panzerung als Zugangsportal genutzt wird. Die Tiefenwahrheitsliegung führt den Menschen über logische Kohärenz und phänomenologische Wahrheit durch seine affektive Panzerung hindurch in den Ursprung. Es findet eine kognitive Kohärenzerzwingung statt, die zum Zusammenbruch der panzernden Gedankenstruktur führt.
Die Tiefenwahrheits-Methode wird als zyklisches Transformationsverfahren beschrieben, das von inkonsistenten Oberflächenwahrheiten über logische Kohärenzarbeit hin zur Entdrängung proto-affektiver Schichten führt und schließlich in der Neubildung eines handlungsfähigen „Eigners“ (Stirner) mündet. Die Selbstwerdung geschieht durch „Tiefenwahrheit“: die simultane Kohärenz von Gefühl, Leibprozess und Wahrheitslogik. Diese Schritte werden dabei durchlaufen: (1) Panzerung → (2) logische Konfrontation → (3) affektiver Kollaps → (4) Durchbruch → (5) Eignerbildung.
Damit wird Tiefenwahrheit als integratives Subjekt-Optimierungsverfahren konzeptualisiert. Logik und Kohärenz werden genutzt, um den Panzer zu schmelzen, dies aber oft deskriptiv, nicht formalisiert. Die Mikro-Logik des Widerstands wird systematisch auseinandergenommen; es findet eine explizite und instantan vorgetragene Widerspruchsdiagnostik seitens des Wahrheitsbegleiters statt. Dieser folgt nicht „irrationalen Wahrheiten“– er denunziert die nun einmal aktuelle Wahrheit des Wahrsagers nicht als „irrational“ –, sondern der subjektiven Logik, um deren Inkohärenzen spürbar zu machen. Es wird größten Wert darauf gelegt, daß die Oberflächenwahrheit klar ausgesprochen wird. Dabei werden Inkonsistenzen und logische Selbstwidersprüche identifiziert.
Das Tiefenwahrheits-Verfahren bricht Panzerung nicht emotional, sondern logisch, d.h., die Sitzung führt den Menschen über logische Kohärenz und phänomenologische Wahrheit durch seine affektive Panzerung hindurch in den Ursprung seiner Bedürftigkeit, wo sein Selbst („Eigner“) neu entstehen kann. Das macht die Kohärenzlogik des Moments aus: Der Eigner konstituiert sich im Durchbruch kohärenter Wahrheit gegen die eigene Panzerung. Die Sitzung ist ein sich selbst organisierender Mechanismus: 1.: Spontane Wahrheit erzeugt Widerspruch zu alten Systemen. 2.: Panzerung bricht, weil sie logisch nicht durchhaltbar ist. 3.: Gefühle brechen hervor, sobald die mentale Kohärenz den panzernden Selbstbetrug zerstört. 4.: Eignerbildung: Die Person erlebt sich als Handelnder, nicht als Objekt.
Die Entwicklung der konkreten Tiefenwahrheitsliegung vom 26. Januar 2017 führt über 1.: den kognitiven Widerstand, der ein Zwangsgedanke ist („der Wahrheitsbegleiter ist von meinem Geld abhängig und will mich ausbeuten“), einer argumentativen Versteifung, einer Rebellion vs. Selbstuntergrabung, zu 2.: einer Übertragungskaskade Mutter → Oma → Wahrheitsbegleiter und Symbolketten (Überleben, Versorgung, Schuld, Pflicht, dem Mechanismus der „Protoübertragung“), zu 3.: dem Kollaps des Über-Ichs, des Durchbruchs auf der logischen Ebene, dem Zusammenfall des panzernden Gedankenapparats, zu 4. dem affektiven Durchbruch (Oma, Dank, Abschied), dem Urschmerz, dem Ersticken („auf dem letzten Loch pfeifen“), schließlich zu 5.: die Eigner-Restaurierung, Selbstermächtigung, Wiedergewinnung von Vitalität und Lebensperspektive.

Entscheidend dabei ist, daß es eigentlich weder um das Gefühl noch um die Kognition geht, sondern daß ein Kohärenzpunkt erreicht wird. Die Kernfunktion von Tiefenwahrheit besteht im logisch-wahrheitlichen Selbstvollzug (reflexive Schicht).
Die Tiefenwahrheit unterscheidet sich von an Wilhelm Reich angelehnten Methoden und radikalisiert diese in zwei Punkten: 1. keine Technik (z. B. Massage, Atmung), sondern logisch-phänomenologische Entpanzerung; 2. die Panzerung ist nicht nur biologisch, sondern personologisch: Der Eigner ist verdrängt → Panzerung = Selbstverlust. Entdrängung führt zu Selbstgewinnung.
(Ende Exkurs Dr. Immelmann)
Richtige, immanent-subjektiv-eignerische Logik anstatt falsche, transzendent-objektiv-göttliche Logik. Pan-Rationalität
Ich habe Kleists Stück nicht genug durchgearbeitet, aber ich glaube nicht, daß er darin auf die Idee kommt, Jupiter die Maske herunterzureißen und damit die Pseudologik zu zerstören; im Gegenteil: Kleist wird Jupiter am Ende zum Erlöser machen.
Und auch Thomas Mann weiß nicht, was echtes Bewußtsein und Vereinheitlichung von Kopf, Herz und Bauch ist; er ontologisiert die Spaltung. Er ist von Kleist überwältigt und kann nur noch lallen: „Das innig-geistreich irisierende Doppelwesen des Stückes, das Gesellschaftskomödie und metaphysisches Gedankenspiel auf einmal ist, wie drückt es sich aus in dem tiefen Lächeln dieser Replik [ … ], in der ein Unerforschliches höherer Art sich mit den Unerforschlichkeiten des Herzens vermischt!“ (Hervorhebung von mir, PT) Mann kann auch nur in einer falschen Dichotomie denken: Das Höhere, Geistige, und das Niedere, Physisch-Emotionale. Er weiß nicht, daß das Herz, das Emotionale, nicht etwa „erforscht“ werden kann, aber sehr wohl nichts Irrationales, sondern etwas Rationales ist. Dazu heißt es in meinem Buch „Stirner und Tiefenwahrheit“: „Was aber heißt ‚Operieren im affektiv-emotionalen Bereich‘? Die sich gegenüberstehenden und sich ergänzenden Begriffe ‚kognitiv-rational‘ und ‚affektiv-emotional‘ sind unglücklich. Damit wird insinuiert, daß das Emotionale nicht rational sei. Und im Zusammenhang mit dem Kognitiven ist ‚rational‘ ja eine Beschreibung und Wertung, wie das Kognitive agiert. Das Kognitive allein ist noch längst nicht die Gesamtheit des Rationalen, wie ja auch Wissenschaftlichkeit überhaupt nicht für Rationalität stehen kann. Laska widerspricht einem Korrespondenzpartner, der geschrieben hatte, die Wissenschaftlichkeit sei ‚das Entscheidende, was letztlich zählt‘, kurz und knapp mit ‚Nein‘. Es sei für ihn ‚evident‘, daß ‚viele Empiriker – ausserhalb ihres speziellen Fachgebietes – […] nicht rational sind. Insofern bin ich der Auffassung, daß Rationalität einen umfassenderen Bereich darstellt als Wissenschaftlichkeit. […] ‚Wissenschaftlich‘ und ‚rational‘ sind nicht verschiedene Bereiche, aber der ‚rationale‘ Bereich umfaßt mehr als der in Ihrem Sinne ‚wissenschaftliche‘.‘xxxvii Das Kognitive gehört also an der Stelle, wo es um aufklärerische Operationen geht, nicht auf dieselbe terminologische Ebene wie das Rationale. Auf eine und dieselbe Kategorienebene gehören ‚kognitiv‘, ‚emotional‘ und – wie wir später sehen werden, wenn wir die zitierte laska’sche Zentralaussage erweitern werden – ‚korporell‘ (die den drei wesentlichen Gehirnbereichen entsprechen). Sowohl das Kognitive als auch das Emotionale als auch das Korporelle können die Eigenschaft des Rationalen – oder Irrationalen – haben.“xxxviii
An anderer stelle schrieb ich: „Hegel hatte durchaus recht, wenn er sagte, was ist, sei vernünftig. Es ist vernünftig (rational), seine Bedürfnisse nicht nur erkennen, sondern auch befriedigen zu wollen, seien diese nun körperlich, gefühlsmäßig oder auch zugehörigkeitsmäßig, d.h. das Transindividuelle betreffend. Alles ist vernünftig, alles hat seinen Grund, alle Bedürfnisse sind rational, und entsprechend sind die Handlungen auch rational. Das heißt nicht, daß alle Bedürfnisse zu ihrem Ziel kommen müssen und daß alle aus den Urbedürfnissen abgeleiteten und zerstörerischen Handlungen erlaubt sind – ganz im Gegenteil. Nicht nur zum kriminologischen Verständnis eines Kriminellen, etwa bei der kriminalistischen Arbeit, sucht man nach dem Grund (Motiv) und kann diesen erklären. Auch in der abgeschiedenen und sicheren Praxis der Tiefenwahrheit werden alle Gefühle zugelassen. Dann verlieren sie ihre Irrationalität und werden verständlich. Sie finden wieder ihren wahren Kontext. (‚The feeling’s right, the context is wrong‘, sagte Arthur Janov.) Der Einzelne wird weniger zerstörerisch und gemeinschaftlich nicht nur verträglicher, sondern wertvoller.“xxxix
Sosias‘ rudimentärer Eigner und dessen endgültiger Verlust
Der resignierende und in der Ichlosigkeit angekommene Sosias hat in sich trotz allem immer noch ein solches korrektes, aber extrem angeschlagenes, rudimentäres echtes Bewußtsein von sich selbst und ist noch zu einem kleinen Teil rational, auch wenn er gleichzeitig Merkurs satanisch-sadistischer „Logik“ recht geben muß. Leise, für sich, läßt Kleist ihn sagen: „Da hat er recht! (…) Man muß, mein Seel, ein bißchen an ihn glauben.“ Doch schließlich wird es doch dramatisch: „Alle Teufel jetzt! Ich fang im Ernst an mir zu zweifeln an. Durch seine Unverschämtheit und seinen Stock ward er schon Sosias, und jetzt wird er, das fehlte nur, es auch aus guten Gründen noch. Zwar wenn ich mich betaste, wollt ich schwören, daß dieser Leib Sosias ist.“ (Hervorhebung von mir, PT – Sosias wird hier irrational, weil er die Gründe eines Fremden sich zu „eigen“ macht. Das gelingt Merkur in der Kleist-Kunst nach der physischen Gewalt jetzt auch mittels kognitiver Gewalt.
Thomas Mann beschreibt die kognitiver Gewalt und die Folge daraus: „Merkur beweist Sosias blendend-unwiderstehlich, daß in Wahrheit er allein das Sosias-Ich repräsentiert. Es ist furchtbar. Die wirkliche, innere Abdankung fängt an, sich nahezulegen. ‚Da hat er recht!‘ denkt der Ärmste.xl (…) Sein Selbstbewußtsein ist außer ihm [in Merkur] und also in ihm wohl zu Unrecht.“xli
Ja, Sosias (Kleist) ist nicht mehr nur am Zweifeln an sich selbst, sondern jetzt endgültig am Verzweifeln; er muß Merkur recht geben, weil dieser alle seine Handlungen punktgenau beschreibt. Aber sein winziges Rest-Ich faßt trotzdem Pläne, seine Person zurückzuerobern: „ – Wie find ich nun aus diesem Labyrinth? – Was ich getan, da ich ganz einsam war, was niemand hat gesehn, kann niemand wissen, falls er nicht wirklich Ich ist, so wie ich. – Gut, diese Frage wird mir Licht verschaffen.“
Vorerst ist Sosias aber zur „Abdankung“ gezwungen. „Und was ihr folgt“, so Thomas Mann, „ist etwas höchst Notwendiges und Rührendes: es ist der in komisch-sachliche Höflichkeit gekleidete Schrei des wahrhaft nackten, des seines Inhaltes beraubten Lebens nach Ersatz, nach einer neuen Identität.“xlii Das „wahrhaft nackten Leben“ schreit primär über die Verletzung, über den Schmerz und den Verlust seiner selbst, aber sekundär dann auch – das stimmt – nach Ersatz für seine Person. Und damit gibt sich Sosias auf: „für sich: Nun ist es gut. Nun wärs gleich viel, wenn mich die Erde gleich von diesem Platz verschlänge, denn aus dem Flaschenfutter trinkt man nicht, wenn man, wie ich, zufällig nicht im Sacke den Schlüssel, der gepaßt, gefunden hätte. Laut: Ich sehe, alter Freund, nunmehr, daß du die ganze Portion Sosias bist, die man auf dieser Erde brauchen kann. Ein mehreres scheint überflüssig mir. Fern sei mir, den Zudringlichen zu spielen, und gern tret ich vor dir zurück. Nur habe die Gefälligkeit für mich, und sage mir, da ich Sosias nicht bin, wer ich bin? Denn etwas, gibst du zu, muß ich doch sein.“
Schließlich zieht Sosias den Schwanz ein: „Mir fängt der Kopf zu schwirren an, ich sehe jetzt, mein Seel, wie sichs verhält, wenn ichs auch gleich noch völlig nicht begreife. Jedoch – die Sache muß ein Ende nehmen; und das Gescheiteste, zum Schluß zu kommen, ist, daß ich meiner Wege geh.“ Das ist aber der „falsche“ Weg, d.h. noch der richtige, den er gewohnheitsmäßig noch automatisch einschlägt, nämlich der zur Arbeitsstelle bei Amphitryon. Sogleich wütet Merkur los, „stößt ihn zurück [auf den „richtigen“ Weg]: Wie, Galgenstrick! So muß ich alle Knochen dir lähmen? Er schlägt ihn.“ Sosias gerät nun endgültig auf die schiefe, die falsche Bahn.
Was bleibt Sosias nun weiter übrig, als sich in seiner Not – abermals ausgerechnet an die Götter zu wenden?: „Ihr gerechten Götter! Wo bleibt mir euer Schutz?“
Wieviel Sosias ist in Kleist? Wie sehr gelten „gute Gründe“ auch für ihn? Seine eigenen Gründe wiederzufinden und das Problem lösen und Erlösung finden zu können, versucht er u.a. hier im „Amphitryon“ mit mathematischer Lageanalyse. Erlösung fand er erst in der finalen Resignation am Kleinen Wannsee.


„Er lebte, sang und litt …“
Die Figur Amphitryon: verzweifelte Konfusion in der Personenverdoppelung. Kleists Vorstoß ins Affektive. Resignation und schopenhauer’sches Mitleid. Amphitryons kogntives Versagen
Später dehnt sich die Konfusion aus Ich und Nicht-Ich auf das soziale Umfeld Sosias‘ aus. Jetzt beginnt eine „hoffnungslos wirre Auseinandersetzung zwischen dem eigentlichen Amphitryon und dem geisteskranken Sosias“ (Thomas Mannxliii). Sosias steckt Amphitryon mit seinem Chaos an, so daß dieser in den Wirrwarr hereingezogen wird und jetzt eine schöne Aufgabe hat: „Ich muß dies Teufelsrätsel mir entwirren, und nicht den Fuß eh’r setz ich dort ins Haus.“xliv Sosias verspricht, ihm dabei zu helfen, „ersucht“ zu diesem Behufe seinen Chef nur darum, „den Ton angeben“ zu dürfen: „Soll ich nach meiner Überzeugung reden, ein ehrlicher Kerl, versteht mich, oder so, wie es bei Hofe üblich, mit Euch sprechen? Sag ich Euch dreist die Wahrheit, oder soll ich mich wie ein wohlgezogner Mensch betragen?“ Für Amphitryon ist klar: Jetzt, in dieser Not, hilft nur noch die Wahrheit!: „Nichts von den Fratzen. Ich verpflichte dich, Bericht mir unverhohlen abzustatten.“
Sosias berichtet ihm also getreu von den beiden Ichen, doch das stürzt Amphitryon nun erst recht in verzweifelte Konfusion, da er Sosias gleichzeitig glaubt und nicht glaubt: „Woher entspringt dies Irrgeschwätz? Der Wischwasch? Ists Träumerei? Ist es Betrunkenheit? Gehirnverrückung? Oder solls ein Scherz sein?“ Amphitryon, der sich schließlich von Sosias‘ Glaubwürdigkeit überzeugt, reagiert zuerst mit Wut; dann bettelt er in seinem Verlust des Verständnisses und fast des ganzen Verstandes seinen Diener geradezu an: „Gut. Weiter denn. Du siehst, ich mäßge mich. Ich will geduldig bis ans End dich hören. Doch sage mir auf dein Gewissen jetzt, ob das, was du für wahr mir geben willst, wahrscheinlich auch nur auf den Schatten ist. Kann mans begreifen? reimen? Kann mans fassen?“
Die ganze Konfusion kann aber – um jetzt auf den zentralen Punkt meines Aufsatzes zurückzukommen – nur nach Anwendung des Trickes dargestellt werden, wonach nämlich ein Gott sich in den Besitz eines menschlichen Ichs bringen kann. Daß das Ich seit der neolithischen Revolution epidemieartig und ganz normal auf eine Weise verlustig geht, die völlig durchsichtig und nachvollziehbar ist und auch ohne einen Trick dargestellt werden kann, darauf kommt Kleist in seiner Unbewußtheit und Verlorenheit nicht. Wir alle kennen Kleists Liebe zum Detail und zum Ganzen; er breitet im „Kohlhaas“ alles aus, alle Entwicklungsschritte werden bis ins allerletzte ausgeleuchtet. Aber hier, im „Amphitryon“, wo es um viel mehr geht als läppische Gerechtigkeitsprobleme, läßt ihn seine Gabe, die Wirklichkeit genauestens zu beobachten und sprachlich-inhaltlich wiederzugeben, im Stich. Wenigstens aber gelingt ihm mittels des Tricks die halbe Arbeit. Er ist ganz sicherlich ans Limit des für ihn Machbaren gegangen. Wir bewundern ihn dafür, daß er es darunter nicht getan hat, bevor er die Hoffnung auf mehr verloren und sich für immer verabschiedet hat.
Jetzt, da wir an die Stelle kommen, „wo es um viel mehr geht“, Amphitryon aber, wie Kleist, die Segel streichen muß, nimmt sich Sosias liebevoll und mitleidig seines Herren an, d.h. Kleist stößt jetzt tiefer in die richtige, erlösende Richtung vor: ins Affektive: Sosias tröstet Amphitryon: Wer „verlange“ denn von ihm, daß er „begreifen“ kann, was nicht zu begreifen ist? „Ins Tollhaus weis ich den, der sagen kann, daß er von dieser Sache was begreift. Es ist gehauen nicht und nicht gestochen, ein Vorfall, koboldartig, wie ein Märchen, und dennoch ist es, wie das Sonnenlicht.“
Der Mechanismus des Ich-Verlusts steht in den Sternen. Es bleibt uns also nichts mehr übrig, als alle nur noch gegenseitig Mitleid für unsere Schizophrenien aus wahrem und falschem Ich, die beide absolut verwechselbar sind, zu haben. Wir werden alle Schopenhauerianer. Laut Schopenhauer strebt der der menschliche Wille stets nach Erfüllung – die ihm immer verwehrt wird: die verewigte Spaltung. Da bliebe tatsächlich nur noch Mitleid übrig.
Und weil das alles so schlimm ist, Kleist aber trotzdem noch nicht die Kimme ins Korn werfen will, muß er zum nächsten Trick greifen: Er bringt nun die „Doppelgängerbegegnung, eine Lieblingssituation der Romantik“ (Thomas Mannxlv), als Ausdruck der Spaltung hinein. In „Stirner und Tiefenwahrheit“ schreibe ich dazu: „Worin liegt nun überhaupt der Zusammenhang von Spaltung und Doppelgängertum? – Ein Doppelgänger ist ja eine Person, die einer anderen sehr ähnelt, manchmal wie deckungsgleich erscheint – ein eineiiger Zwilling im Idealfall. Davon kann in einem der angeführten literarischen Beispiele – Stevensons ‚Dr. Jekyll und Mr. Hyde‘ – schlecht die Rede sein, und der Zusammenhang scheint sich aufzulösen. Dr. Jekyll und Mr. Hyde sind nun gerade keine Doppelgänger, sondern scharf kontrastierend. Sie sind Derivate einer einzigen Person, sicher, aber sie sind sich eben nicht nur nicht ähnlich, sondern verhalten sich antagonistisch zueinander. Stevenson kann die krasse Spaltung ätiologisch nicht erklären, und auch er greift extrem abkürzend zum altbewährten Trick des Tranks. Poe läßt immerhin den zweiten William Wilson von Anfang an da sein, er wird nicht mit einem Zaubermittel in die Welt gerufen; wie es aber zu den zwei William Wilsons kommt, bleibt auch bei Poe unklar. Bei Meyrink ist der Doppelgänger das wahre, tiefe Ich, das, wenn man es sucht und findet, die Spaltung zum Verschwinden bringt. Das geschieht, indem das falsche, oberflächliche Ich zu dem emotionalen Ort geführt wird, wo es seine Tiefe (seinen ‚Eigner‘) verloren hat.“ Dann kommt es zu einer „Trizophrenie“, da nicht nur die eignerfernen Antagonisten, sondern jetzt auch der Eigner als dritte Person auftritt (siehe dazu mein in Begleitung und Ergänzung von „Stirner und Tiefenwahrheit“ entstandenes Video „Trizophrenie“xlvi).
Kleist läßt also Amphitryons sich verdoppeln: „Amphitryon: Falls man demnach fünf Sinn hat, wie glaubt mans? Sosias: Mein Seel! Es kostete die größte Pein mir, so gut, wie Euch, eh ich es glauben lernte. Ich hielt mich für besessen, als ich mich hier aufgepflanzt fand lärmend auf dem Platze, und einen Gauner schalt ich lange mich. Jedoch zuletzt erkannt ich, mußt ich mich, ein Ich, so wie das andre, anerkennen. Hier stands, als wär die Luft ein Spiegel vor mir, ein Wesen völlig wie das meinige, von diesem Anstand, seht, und diesem Wuchse, zwei Tropfen Wasser sind nicht ähnlicher. Ja, wär es nur geselliger gewesen, kein solcher mürrscher Grobian, ich könnte, auf Ehre, sehr damit zufrieden sein.“
Nun kommt aber auch Amphitryon seinerseits – wer hätte das gedacht? – im Mitleid an: mit dem Knechte: „So schlug man dich?“, wird sogleich aber vollends in den Irrsinn getrieben: „Sosias: Und tüchtig. Amphitryon: Wer – wer schlug dich? Wer unterstand sich das? Sosias: Ich. Amphitryon: Du? Dich schlagen? Sosias: Mein Seel, ja, ich! Nicht dieses Ich von hier, doch das vermaledeite Ich vom Hause, das wie fünf Ruderknechte schlägt.“xlvii
Hier verläßt Amphitryon dann aber – ganz Schopenhauer – doch das Mitleid, und er wütet: „Und wer hat dich, Verräter, deine Pflicht verfehlen lassen? [Alkmenen Bericht abzustatten] Hund, Nichtswürdiger!“
Sosias versucht es noch einmal geduldig: „Muß ich es zehn und zehnmal wiederholen? Ich, hab ich Euch gesagt, dies Teufels-Ich, das sich der Türe dort bemächtigt hatte; das Ich, das das alleinge Ich will sein; das Ich vom Hause dort, das Ich vom Stocke, das Ich, das mich halb tot geprügelt hat.“
Amphitryon kann es nicht verstehen: „Es muß die Bestie getrunken haben, sich vollends um das bißchen Hirn gebracht.“ Er winkt nur noch ab: „Schweig. Was ermüd ich mein Gehirn? Ich bin verrückt selbst, solchen Wischwasch anzuhören. Unnützes, marklos-albernes Gewäsch, in dem kein Menschensinn ist, und Verstand.“ Was soll er schon machen, als verstehen zu wollen aufzugeben?
Sosias ist einerseits froh, daß er seinen Chef zumindest gnädig stimmen konnte und nicht auch noch von ihm Prügel bezieht; andererseits protestiert er dagegen, daß Amphitryon ihm die ganze Geschichte doch nicht richtig abnimmt. Daß Amphitryon ihn nicht richtig ernst nimmt, schiebt er nicht auf das Übermaß an Irrheit, sondern auf seinen niederen Rang: „So ists. Weil es aus meinem Munde kommt, ists albern Zeug, nicht wert, daß man es höre. Doch hätte sich ein Großer selbst zerwalkt, so würde man Mirakel schreien.“
Vor Amphitryon war Sosias aber schon, wie gesehen, von Merkur gehörig geschurigelt worden – falls wir eine solche verharmlosende Ausdrucksweise anläßlich der Ich-Austreibung anwenden sollen. Thomas Mann tut dies aber leicht; Kleists „Spiel halte sich“ in der Sosias-Merkur-Szene, so Mann, „im Humoristischen, Herzlichen auf; es verband zwingende Eindringlichkeit und göttlich-unempfindlichen Leichtsinn auf eine Weise, die das Geheimnis eines Poeten ist, der auf eben diese Weise einen zweifellos um hoch krankhafter Reize willen erkorenen Gegenstand nicht nur möglich, nicht erträglich, sondern bezaubernd macht.“xlviii – Mann verniedlicht die Katastrophe zu etwas Komödiantischem. Aber er hat nicht ganz unrecht – auch Kleist kann die Katastrophe nur als Künstler, also nur in ihrem Ansatz darstellen. Allein die nackte, ungekünstelte Tiefenwahrheit kann die Tiefe menschlich-existenziellen Empfindens ausschöpfen.
Meine Interpretation des Stückes ist von Anfang an eine andere als die Manns; für mich ist die Lektüre der bösen Verzauberungen durch die Götter nicht „bezaubernd“, die Katastrophe – die „krankhaften Reize“ – ist stets präsent. Aber gar nicht mal die Gefühle und die Schicksale der einzelnen Figuren mit ihren jeweiligen Ich-Verlusten sind für mich wesentlich für das Stück, sondern es ist darüber hinaus die gesamte Struktur und Architektur des Stückes, die erst – dank der dazukommenden Kunstgriffe – einen allgemeinen und totalen Irrsinn produzieren und den eigentlichen Zustand der Protagonisten – und damit unserer gesamten vermaledeiten Zivilisation – adäquat ausdrücken können.
Alkmene: Zerstörung der durch das Mikrosoziale bestätigten Identität. Zuspitzung des Wahrheits- und Eignerverlustes
Wir dürfen – um auf die individuellen Gefühle zurückzukommen – auch nicht vergessen: Alkmenes Ich-Verlust ist in Wirklichkeit nicht etwa das Resultat des Fingerschnippens eines Magiers, sondern dahinter verbirgt sich ein grausames Schicksal, ein Mord, dessen Hergang extremst verkürzt wird und der hier nur symbolisiert, d.h. in seiner Tragik abgeschwächt wird. Immerhin wird der Ich-Verlust auch im Falle Alkmenes von Kleist angemessen bezeichnet: „Alkmene: Wie Schaudern jetzt, Entsetzen mich ergreift und alle Sinne treulos von mir weichen. (…) Eh will ich irren in mir selbst! [meinen Sinnen nicht mehr vertrauen, weil sie ja offenbar das „Falsche“ signalisieren] Eh will ich dieses innerste Gefühl, das ich am Mutterbusen eingesogen, und das mir sagt, daß ich Alkmene bin, für einen Parther oder Perser halten. Ist diese Hand mein? Diese Brust hier mein? Gehört das Bild mir, das der Spiegel strahlt? Er wäre fremder mir als ich!“ – Kleist wußte, welche Tiefe die unverfälscht-echte Selbstwahrnehmung hat – fern jeglichen Egos –, woher sie letztlich stammt und daß sie in unserer Zivilisation verloren geht – wie bei mir auf dem Fahrrad festgestellt.
Diese Selbstwahrnehmung innerhalb des mikrosozialen Gefüges aber ist hier vollkommen gestört. Thomas Mann: „Es ist der schwerste Schlag, der die Reine trifft, denn sie beginnt, an sich zu zweifeln, wie Sosias es schon getan hat, wie Amphitryon es noch tun wird. Bisher war sie ihrer gewiß und ‚durfte‘ – es war erniedrigend, empörend und schmerzhaft genug – an einen häßlich zweckhaften Kunstgriff ihres Gatten glauben. Nun muß sie anfangen – wie gerne täte sie es sonst! – , sich von seiner Redlichkeit zu überzeugen und ihren Sinnen weit schrecklicher mißtrauen lernen, als sie es hätte tun müssen, wenn man ihr nur bewiesen hätte, sie könne nicht lesen [die Inschrift auf einem Diadem als Beweisstück für Amphitryons/Jupiters Identität]. Man muß sich in ihre Seele versetzen – man tut es unter des Dichters mächtig einflüsternder Mitleidskraft. Sie hat Amphitryon, den geliebten Gatten, umarmt; er war es, und sie war es, und war er’s nicht, so war auch sie es nicht, denn ihr Gefühl für ihn ist mit dem der eigenen Identität verbunden, und mit Sicherheit des einen wird die des anderen erschüttert.“xlix
Kleist identifiziert seinen Peiniger symbolisch: Der als Amphitryon verwandelte Jupiter liebt es, wie er mit den armen Menschen spielt, und macht sich über die Menschen lustig: Wenn er als Amphitryon bei Alkmene ist, sagt er, er sei ein Gott, er fühle sich, als Amphitryon, wie ein Gott.l
Dann läßt Kleist das Spiel des logotoxischen Quälers auf die Spitze treiben, indem er ihn sogar die „Wahrheit“ sagten läßt; das ist die letzte Steigerung des Toxischen: Jupiter spricht zu Alkmenen, die ihn für Amphitryon hält: „Jupiter: Es war kein Sterblicher, der dir erschienen, Zeus selbst, der Donnergott, hat dich besucht. Alkmene: Wer? Jupiter: Jupiter. Alkmene: Du wagst, Elender – ? Jupiter: Jupiter, sagt ich, und wiederhol’s. Kein anderer, als er, ist in verfloßner Nacht erschienen dir. Alkmene: Du zeihst, du wagst es, die Olympischen des Frevels, Gottvergeßner, der verübt ward?“li – Die arme, gott- und giftvertrauende Alkmene … Den Vorwurf nimmt Alkmene in die nächste Unterhaltung mit dem wirklichen Amphitryon mit; die Liebe zwischen ihnen ist dadurch vollends ramponiert. Kleist muß einen pervers manipulierenden Soziopathen im engsten Umfeld gehabt haben und in den Irrsinn getrieben worden sein, wenn er so etwas schreiben kann. Jupiter benutzt die „Wahrheit“ als Tarnung und Mittel der psychologischen Kriegsführung zur Verwirrung Alkmenes, um sie weiter sexuell ausbeuten zu können. Sie kann nur noch ausschreien: „Ihr Himmlischen, schützt mich vor Wahn!“
Dreist und teuflisch rotzefrech sagt Jupiter Alkmenen: „Nur die Allmächt’gen mögen so dreist, wie dieser Fremdling, dich besuchen, und solcher Nebenbuhler triumphir’ ich! Gern mag ich sehn, wenn die Allwissenden den Weg’ zu deinem Herzen finden, gern. Wenn die Allgegenwärtigen dir nahn: Und müssen nicht sie selber noch, Geliebte, Amphitryon sein, und seine Züge stehlen, wenn deine Seele sie empfangen soll?“ Er gibt, als Amphitryon, alles zu, er sagt die „ganze Wahrheit“! Das kann Alkmene nur noch überzeugen – die Wahrheit hat ja schließlich die größte Überzeugungskraft –, und sie schmelzt dahin, jetzt endgültig die tiefe Liebe und das ganze Vertrauen zu ihrem „Amphitryon“ wiederfindend, was Jupiter unmittelbar genießen kann: „Alkmene: Nun ja. Sie küßt ihn.“ Jupiter ist begeistert: „Du Himmlische! Alkmene: Wie glücklich bin ich!“lii – Vorläufiger Höhepunkt.
Aber das Gerase geht weiter und steigert sich noch beträchtlich; wir haben noch anderthalb Akte vor uns.
Exkurs: War Goethe verklemmt oder cool?
Goethe aber, dem das Stück vorgelegen hat, steigt an dieser Stelle, wo die Raserei erst einmal richtig anfängt, schon aus; hier wird es ihm schon zu bunt. Hier hat er Angst durchzudrehen und schreibt 1807 von Kleists „Amphitryon“ als dem „seltsamsten Zeichen der Zeit“liii„Es ist nichts inkonsequenter als die höchste Konsequenz, weil sie unnatürliche Phänomene hervorbringt, die zuletzt umschlagen.“ Dazu schreibt Thomas Mann: „Es ist jener Konflikte einer, die Goethe abstießen. Es ist die ‚Verwirrung des Gefühls“, auf die, wie er sagte, dieser Autor ausgeheliv und die er als krankhaft mißbilligte.“lv
Goethe hat völlig recht: Es geht bei Kleist unter der Verwirrung des Verstandes um die Verwirrung des Gefühls, besser kann man es nicht sagen. Und diese Verwirrung des Gefühls ist etwas „Krankhaftes“ und gehört mißbilligt, ja, absolut. Aber dafür kann doch unser armer Kleist nichts! Goethe tötet hier den Boten der Nachricht! Wie voreingenommen, wie emotional korrumpiert muß Goethe gewesen sein, daß er, der dumm nicht gewesen ist, hier so eine Dummheit begeht? Man mag solche Theaterstücke nicht mögen und sie sich deshalb nicht ansehen; aber diese Coolness hatte Goethe nicht; er wird ganz offensichtlich von Kleist in seiner eigenen Verwirrung des Gefühls getriggert.lvi
Auch Thomas Mann wundert sich über Goethes Reaktion auf Kleist: „Soll ich sagen, daß ich nie die grausame Kälte Seiner Majestät gegen Kleist und gegen seine Neigung zu pathologischer Stoffwahl habe verstehen, gutheißen, sie auch nur folgerecht habe empfinden können? Krank, grillenhaft, extrem – was sollen mir solche Vorwürfe im Munde eines Psychologen gleich ihm, dessen Lust an schriftstellerischer Erfassung seelischer Intimitäten und Neuigkeiten die lebhafteste war. (…) Tasso ist wohl gesund? Werthern extrem zu nennen, wäre wohl fehlerhaft? Eine Gestalt wie Mignon ist zweifellos ganz ungeeignet, Verwirrung des Gefühls hervorzurufen?“lvii
Es war also nur Goethes Neid auf Kleist! Kleist machte es besser als er, in ihm fand er seinen Meister. Aber auch der intelligente Thomas Mann unterscheidet hier eigenartigerweise nicht zwischen der Wirklichkeit verwirrter Gefühle und derer Darstellung und Wirkung im Theater (oder bei der Lektüre). Die Wirklichkeit ist verwirrt. Kleist stellt es nur dar. Was er damit „hervorruft“, ist eine ganz andere Sache – das „Hervorrufen“ ist nämlich einzig Sache des Rezipienten, also in diesem Falle Thomas Manns; selbst dieser noch war offenbar von Kleist „hervorgerufen“, getriggert.
Goethes Gefühl entwirrt sich und setzt sich 14 Jahre später – 1821, er ist dann 72 Jahre alt – in seiner Liebe zur 18-jährigen Ulrike von Levetzow noch einmal durch und wird vereinheitlicht. Stefan Zweig schreibt: „Er gehorcht seit Jahrzehnten wieder nur noch ganz dem Gefühl. […] Sein starres Wesen ist magisch aufgeschmolzen in diesem Sommer, und aufgetan, wie seine Seele nun ist, verfällt sie dem alten Zauber, der ewigen Magie.“lviii
„Doch diese Liebe [Goethes zur Levetzow]“, schreibe ich in meinem Buch „Pan-Agnostik“, „findet nun keine Erfüllung mehr, und so flüchtet auch Goethe – wie Tolstoi und Zweig – auf seine Weise zu Gott und in die Literatur.“lix Doch Gottes Antipode – der Schmerz – ist noch virulent; die Literatur hat jetzt ihr Gutes: Stefan Zweig: „Aber gerade im Nachgefühl dieses seligsten Zustandes leidet der Verlassene unter der Trennung der Gegenwart, und nun bricht ein Schmerz hervor, der die erhaben elegische Stimmung des großartigen Gedichtes [Marienbader Elegie] fast zerreißt. […] Unmittelbar, nackt geradezu, stößt sich der Schrei hinein in das Gedicht, gewaltigster Anschwung innerer Bewegung. […] Nun strömt der Schmerz in kristallene Strophen, wunderbar von der eigenen Wirrnis gereinigt. […] Erschütternd ist diese Klage: ‚Mich treibt umher ein unbezwinglich Sehnen, / Da bleibt kein Rat als grenzenlose Tränen.‘ […] Dann steigert sich, kaum steigerungsfähig, der letzte, furchtbarste Aufschrei: ‚Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren, […] die Götter trennen mich – und richten mich zu Grunde.‘ […] Goethe, der sonst fast immer nur in Spiegelbildern, Chiffren und Symbolen sein tiefstes Geheimnis verriet, hier offenbart er als Greis zum erstenmal großartig frei sein Gefühl.“lx
Und ich schreibe in „Pan-Agnostik“ weiter: „Diese absolute Symbollosigkeit ist es, und die ‚grenzenlosen Tränen‘, die das Verschmerzen und Unterwinden – die Alternative zu Gott – ausmachen.“lxi Goethe dichtet zwar „eine der reinsten Strophen über das Gefühl der Hingabe und Liebe, die jemals die deutsche und irgendeine Sprache geschaffen“ (Zweiglxii), aber hier, in der Literatur und vor allem im ciskognitiven Gespräch mit seinem Freund Carl Friedrich Zelter, der ihm zum Tiefenwahrheitsbegleiter wird, erreicht Goethe Tiefen und wird zu einer Art „Eigner“ – was Kleist dann wiederum nie gelungen ist.
Auch Goethe „richten“, wie Kleist, „die Götter zu Grunde“, aber er verläßt jetzt unter dem Leidensdruck das Mathematische, was Kleist nicht getan hat, löst den Druck so auf, wie es effizienter als die Mathematik ist und viel mehr Sinn macht: Er „offenbart großartig frei sein Gefühl“. Nichts mehr von – zumindest in den Gesprächen mit Zelter – Tricks und Kunstgriffen, nichts mehr von rein kognitiven Versuchen, des Elends Herr zu werden – Goethe beginnt jetzt tatsächlich zu unterwinden an, anstatt, wie Kleist, zu überwinden. Kleist läßt Jupiter, den göttlichen Geist, das Problem lösen; Goethe löst es per irdischem Gefühl selbst. Hier geht Kunst in Tiefenwahrheit über.
Doch das tat es eigentlich, zumindest ansatzweise, auch schon 1774, als der 24-jährige Goethe seine „Leiden des jungen Werthers“ schrieb: „Eine ähnliche Verschmerzung und Unterwindung wie die mit Hilfe Zelters vollzogene war die Verarbeitung von Urschmerz, ausgelöst durch Abbruch bindender Liebe, im ‚Werther‘, den Goethe ‚ohne Konzept und ohne Entwürfe in einem Zug niederschreibt‘lxiii.“lxiv – Goethe ging hier diametral anders ans Werk als Kleist im „Amphitryon“.
Goethes Abwehr Kleists im Jahre 1807 war vielleicht doch keine „Repulsion“ (Laska), sondern folgte der richtigen Direktive, wonach das Leid nicht mathematisch-kognitiv beendet werden kann, wie es Kleist im „Amphitryon“ versucht, wo die Affekte noch nicht wirklich durchbrechen, sondern vom Gift der Götter noch paralysiert bleiben und nicht befreiend wirken können.
Goethe, der 1807 natürlich längst noch nicht geläutert – d.h. aufgeklärt – war, hat das nur nicht richtig ausdrücken können; er stand der Angelegenheit mit Kleist noch reichlich hilflos gegenüber. Intuitiv hat Goethe Kleists Herangehensweise abgelehnt – womit er recht hatte. Selbst besser gemacht hat er es mit seinem „Werther“, spätestens aber 1821 als 72-jähriger mit der „Marienbader Elegie“, vor allem aber in den nicht-künstlerischen, gefühlvollen Gesprächen mit Zelter. Aber warum sprach Goethe dann bei seiner Ablehnung des „Amphitryon“ nicht von der mathematischen Verwirrung, sondern von der des Gefühls? Eine solche hätte er doch tolerieren können.
(Ende Exkurs Goethe)
Kleist steht derweil schwer unter der Knute, Jupiter kommt bei ihm voll auf seine Kosten, kann ganz seinen göttlichen (teuflischen) Spaß haben, kann jetzt Alkmene völlig täuschen und das Spiel und ihre Unterwerfung genießen: Er sagt ihr (die sie ihn für Amphitryon hält) und spielt immer noch mit der Wahrheit und mit Alkmenen wie die Katze mit der Maus: „Wenn ich nun dieser Gott dir wär – ? Alkmene: Wenn du – wie ist mir denn?“
Alkmene dreht durch. Sie weiter: „Wenn du mir dieser Gott wärst – – Ich weiß nicht, soll ich vor dir niederfallen, soll ich es nicht?“ In höchster Verzweiflung: „Bist du’s mir? Bist du’s mir?“ Jupiter läßt sie zappeln: „Jupiter: Entscheide du. Amphitryon bin ich. Alkmene: Amphitryon –. Jupiter: Amphitryon, dir ja. Doch wenn ich, frag’ ich, dieser Gott dir wäre, dir liebend vom Olymp herabgestiegen, wie würdest du dich dann zu fassen wissen? Alkmene: Wenn du mir, Liebster, dieser Gott wärst — ja, so wüßt’ ich nicht, wo mir Amphitryon wäre, so würd’ ich folgen dir, wohin du gehst, und wär’s auch, wie Euridike, zum Orkus. Jupiter: Wenn du nicht wüßtest, wo Amphitryon wäre. Doch wie, wenn sich Amphitryon jetzt zeigte? Alkmene: Wenn sich Amphitryon mir — ach, du quälst mich. Wie kann sich auch Amphitryon mir zeigen, da ich Amphitryon in Armen halte?“
Kleist war definitiv schwerst gestört, wenn er so etwas schreiben konnte – so wie ich als Jugendlicher, wenn ich so etwas lesen und davon auch noch schwerst fasziniert sein konnte. Kleist war im Geist gefangen. In seinem Gehirn fand eine Raserei statt, die nie in seinen Körper hinabfahren und sich dort austoben konnte.
Doch ist das jetzt schon die Finalkonfusion? Wenn Sie das denken, lieber Leser, haben Sie keine Vorstellung weder von Kleists Stück noch vom Ausmaß, das Konfusion haben kann. Wenn Sie aber jenes Schwert, jenes Buschmesser in Aktion und eine Raserei in den Körper hinabfahren sehen möchten, dann schalten Sie sich auf einem meiner Video-Kanälelxv ein; ich stelle dort von einer toxischen Mutter erzeugte Verwirrungen und deren Lösung durch Tiefenwahrheit dar.
Der Geheimrat war nur zu zurückhaltend, auch er hätte bei diesem Irrsinn gern mit dem Knüppel dreingeschlagen.
Jupiter gelingt es tatsächlich – er ist ja ein Gott, er kann das (Trick!) –, Alkmene davon zu überzeugen, daß er …
Unterwindung besagten „Formtiefs“
– Und hier, lieber Leser, mache ich den Goethe und steige aus, hier komme ich nicht mehr hinterher, kann ich der kleist’schen Konstruktion nicht mehr folgen, weigere ich mich, den Irrsinn weiter nachzuvollziehen – weil das ja eh keinen Sinn hat! Hier realisiere ich, daß ich ein Formtief gehabt haben muß, als ich glaubte, durch mathematische Analyse der Bedeutung des Stückes auf die Schliche zu kommen.
Goethe hat ja recht! Es ist nicht so, daß es mich triggern würde – ich habe einfach, ganz cool, keinen Bock mehr, diesem Irrsinn zu folgen. Überzeugt Jupiter Alkmene davon, daß er … – was sei? – wer sei? Daß er gestern als Amphitryon, der er natürlich immer noch für sie ist, in Gestalt Jupiters erschienen ist, so als hätte sich Amphitryon als Jupiter ausgegeben? Ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung! Ich weiß nur, daß ich das als Jugendlicher wahrscheinlich verstanden habe (in meiner Verrücktheit verstehen mußte) – heute, Jupiter sei Dank, nicht mehr.
Thomas Mann aber kommt an dieser Stelle erst mal richtig in Fahrt, fängt an, Kleists Stück zu genießen! Mann, hat der Nerven! Es sei, so sagt er, „die Glanz- und Meisterszene, sein Herzstück, das immer [von mir] bewunderte, kraft dessen es jede frühere Formung des Stoffes [u.a. Kleists Molière-Vorlage] so weit, so unvergleichlich überragt.“lxvi Alkmene, „wirft sich, um Lösung, Entscheidung, um Leben und Tod zu finden [also Erlösung!], dem [falschen!] Gatten zu Füßen“.
Dieses „Herzstück“ ist mir definitiv zu verrückt!
Aber es kommt wohl noch verrückter; Thomas Mann arbeitet noch mehr an Verrücktheit herauslxvii. „Es ist Wahn, was sie [Alkmene] ihm [Amphitryon] Schreckliches sagt, da er’s nicht war; und wäre er’s gewesen, so wäre es vollends Wahn. Welche Wirrung!“lxviii – Ob es Thomas Mann gelingt, die ganze Verrücktheit des kleist’schen Stückes aufzuzeigen, kann ich nicht beurteilen, habe ich doch das Kleist-Stück ja nicht einmal ganz gelesen, geschweige denn verstanden.
Ich bin – im Unterschied zu Thomas Mann – nicht mehr in der Lage, die kleist’sche Konstruktion zu dekonstruieren; ich verzichte auf die Erkenntnis der gesamten Struktur des Stückeslxix, möchte nicht länger die ver- – symbolisch – -rückte Verwirrung nachvollziehen. Und das ist ja auch – wie wir oben gesagt haben – überhaupt nicht nötig, um die Bedeutung zu erfassen, die es für mich – und sicherlich etliche andere – gehabt hat.
Ich weiß nur, daß Kleist alles ihm Mögliche dafür getan hat und seine enorme Intelligenz, ja, eine Genialität dareingelegt hat, eine perfide, teuflische Verwirrung und Manipulation rein kognitiv-mathematisch-strukturell nachzuzeichnen, um das Emotionale an der Sache wenigstens anzudeuten. Die Betonung liegt auf „eine“, weil es nicht die ihn betreffende, nicht die Verwirrung war, der er selbst zum Opfer gefallen ist. Wenn er imstande gewesen wäre, seine eigene Verwirrung zu verstehen, hätte er nicht länger das Bedürfnis gehabt, diese mittels einer mathematisch sowohl logischen als gleichzeitig auch absurden und teuflischen Konstruktion zu verarbeiten. Er entwirft also das Szenario einer Verwirrung (von Nichtsahnenden oder Glücklichen als „Verwechslungkomödie“ bezeichnet), bei der es nicht so sehr auf den Inhalt (z.B. manipulativer Sadismus), sondern auf den schieren Umstand der Verwirrung und deren Darstellung in einer technischen Zeichnung ankommt. So aber – bei Kleists Erlösungsunfähigkeit – blieb das Verarbeitungsbedürfnis, und er schrieb ein Stück absurdes Theater, von dem Ionescu nur träumen konnte.lxx
Der arme Kleist wußte leider nicht, daß die Verwirrung, die das Resultat einer Manipulation war, letztlich nur mit dem emotionalen Buschmesser durchgehauen werden kann (analog zu Stirners „Juchhe“). Das Gestrüpp kann nicht fein säuberlich Ästchen für Ästchen auseinandergenommen werden, sondern muß als ganzes verbrannt werden! Warum „letztlich“? – Weil, bevor es zur emotionalen Verbrennung kommen kann, alles Kognitive ausgeschöpft sein muß. Das exerziere ich in der Tiefenwahrheitsliegung vom 26. Januar 2017, die Teil II des Buches „Max Stirner und Tiefenwahrheit“ istlxxi, vor: Ich komme erst dann zur Entwirrung und zum Schmerz über den katastrophalen Liebesmangel in meiner frühesten Kindheit, nachdem ich eine halbe Stunde lang auf einer „Wahrheit“ insistiere und sie Ästchen für Ästchen zu beweisen versuche. Natürlich erfahre ich erst danach, daß meine „Wahrheit“ falsch war. Und das ist auch gut und richtig so. Es gibt nur Wahrheit, und zwar die in jedem Augenblick. Sie kann sich in eine wahrere Wahrheit verwandeln oder sich auch, in der Kindheit, in eine immer weniger wahre Wahrheit verwandeln.lxxii Aber das einzig wichtige hier ist nur, daß man diese Wahrheit – wie echt, wie tief oder flach sie auch immer ist – ausdrückt. Man darf sich nicht die Frage nach ihrem Reinheitsgrad stellen, sondern muß voll und ganz hinter ihr stehen, voll in sie hineingehen und auch den Wahrheitsbegleiter mit dessen Wahrheit beschimpfen. Dessen Wahrheit soll man nicht an sich heranlassen und heftig abstoßen. Erst unter dem nicht mehr aushaltbaren Druck mangelnder Kohärenz muß man diese zu seiner eigenen machen, in Gefühle ausbrechen und dann somit seine eigene Wahrheit vertiefen.
Kleists Pseudolösung der Problematik (das Ende des Stücks)
Was ich „Gestrüpp“ nenne, heißt bei Kleist „fluchwürdiges Gewebe“; er läßt Amphitryon sagen: „Daß ein Betrug vorhanden ist, ist klar, wenn meine Sinne auch das fluchwürdige Gewebe noch nicht fassen.“ Amphitryon/Kleist versucht zum Behufe einer Erlösung, das Gewebe zu begreifen und es mittels „Zeugen zu zerreißen“ und seinen Anspruch auf die Identität als Amphitryon/Kleist anzumelden bzw. zu untermauern bzw. diese wieder herzustellen bzw. sie Jupitern zu entreißen.lxxiii Im Zusammenhang mit falschen Methoden, des Chaos Herr zu werden, schreibe ich in „Stirner und Tiefenwahrheit“: „Das Gestrüpp ist ein Chaos – wie das wissenschaftliche Chaos überhaupt –, vergleichbar mit dem unlösbaren Chaos der Menschenwelt, in das wir unrettbar verstrickt sind: unendlich kompliziert. Es ist eine Hybris, dieses Chaos überhaupt erfassen, systematisieren und kategorisieren zu wollen. Vor allem aber war es völlig unnötig und kontraproduktiv.“lxxiv
Gelingt es Amphitryon, das Chaos zu entwirren, d.h. Alkmene, die unzuverlässig-ohmnächtigen Zeugen und das Volk zu überzeugen?
Achtung, lieber Leser, jetzt erst mal nicht mehr weiterlesen, wenn Sie sich nicht die Spannung verderben wollen und die Antwort selbst bei Kleistlxxv finden möchten.
Nein, es gelingt Amphitryon nicht, Alkmene davon zu überzeugen, daß er – und nicht Jupiter – Amphitryon ist. Alkmene beschimpft den armen fast bis zum Schluß, ein „Verräther, Nichtswürd’ger! Schändlicher! Scheußliches Ungeheuer!“ zu sein. Daß es Kleist Amphitryon nicht gelingen läßt, könnte man positiv werten: Es würde dann bedeuten, daß Kleist uns sagen will, daß Amphitryon die falsche, nämlich mathematisch-kogntiv Methode benutzt.
Alkmene schimpft in Verzweiflung: „Was that ich dir, daß du mir nahen mußtest, von einer Höllennacht bedeckt. Dein Gift mir auf den Fittig hinzugeifern? Was mehr, als daß ich, o du Böser, dir still, wie ein Maienwurm, ins Auge glänzte?“ – Hier spricht die Unschuld des Kleinkindes gegenüber der toxischen Mutter. Doch das vergiftete Kleinkind Alkmene ist rettungslos im Falschen verloren – da sie die „Wahrheit“ zu erkennen vermeint: „Jetzt erst erblick’ ich, was für ein Wahn mich täuschte.“ Zur „Erkenntnis“ wäre ihr „der Sonne heller Lichtglanz nöthig“ gewesen. Und ihre eigenen Sinne, die ihr die Erkenntnis trügerisch getrübt haben, verdammt sie jetzt: „Verflucht die Sinne, die so gröblichem Betrug erliegen.“
Mit den Sinnen als der Grundlage löst sie sich von ihrer eigenen Existenz: „Verflucht die Seele, die nicht so viel taugt, um ihren eigenen Geliebten sich zu merken!“ Der Verdammnis fällt auch ihr echter Geliebter, der wahre Amphitryon, als ihr Partner im Protoverein der Eignerlxxvi – als gegenseitige Bestätigung ihrer Identitäten – zum Opfer: Alkeme sagt ihm: „O verflucht der Busen, der solche falschen Töne giebt!“ und verstößt ist nun endgültig: „Geh! deine schnöde List ist dir geglückt, und meiner Seele Frieden eingeknickt.“lxxvii – „Schnöde List“?! – Der arme Amphitryon! Jupiters ist es – aber von dieser Erkenntnis ist Alkmene weit entfernt.
Warum schrieb ich „… beschimpft den armen fast bis zum Schluß?“ – Jetzt kommen wir wirklich zu des Rätsels Lösung, ob Kleist es Amphitryon gelingen läßt, Alkmene, die Zeugen und das Volk davon zu überzeugen, der wahre Amphitryon zu sein. – Nein, am Schluß läßt Kleist Jupiter, einen Gott, die Lösung bringen! Das ist entscheidend! Man kann es mit Goethes „Faust“ vergleichen, wo Gretchen am Ende durch ihren Glauben und die Gnade Gottes gerettet wird – aber eben auch durch ihre tiefe Reue, die ein Merkmal des Ciskognitiven und Autonomen ist.
Kleist traut es sich und den Menschen generell nicht zu, allein und dank ihrer Sinne ihr Identitätsproblem und die Frage von Autonomie oder Heteronomie zu lösen. Kleist gibt seinem Stück zwar ein happy end, aber das wahnsinnig große Problem der allgemeinen Ich-Verluste muß und kann laut Kleist nur ein Gott lösen. Das hat etwas Läppisches; jeder merkt, daß hier etwas viel zu kurz gerät und nicht stimmen kann. Die Menschen sind dem Schabernack treibenden Gott – also im Klartext ihrer eigenen, sie verwirrenden Realität – hilflos ausgeliefert. Nur der Gott selbst kann das von ihm gestiftete Chaos lösen. – Was sich vernünftig anhört, ist aber falsch. Aus seiner Falle kann sich jeder nur selbst befreien.
Immerhin stellt Kleist das Chaos als von Gott gestiftet dar und gesellt sich zunächst an die Seite von Bernd A. Laska und Wilhelm Reich („Jahrtausendentdeckung“): „Die moralische Regulierung des Trieblebens schafft gerade das, was sie bändigen zu können vorgibt: das asoziale Triebleben.“lxxviii Doch das Chaos („das asoziale Triebleben“, das Große Durcheinander, das durch das Große Nichtwissen, wer wir eigentlich sind, verursacht wird) lösen dann nicht die Menschen selbst – Kleist macht es zur Chefsache: „Jupiter: Wohlan! Du bist Amphitryon.“ – Der gütige Gott läßt sich gnädig herab und gewährt Amphitryon die Identität und läßt dadurch wieder die Wahrheit gelten. Zu gütig. Damit aber bleibt Kleist im Paradigma der „moralischen Regulierung“, d.h. der Heteronomie. Amphitryon kommt zur seiner Wahrheit wie die Jungfrau zu ihrem Kinde. Es ist wie ein Kaiserschnitt: Das Kind kommt zur Welt, aber es ist keine Geburt.
Das Rätsel lösen nicht die Menschen selbst – nicht, weil sie zur mathematischen Skizzierung des Chaos nicht in der Lage wären – Kleist macht ihnen das vor, auch wenn ich ihm nur als Jugendlicher auf dem Höhepunkt meiner Intelligenz ganz folgen konnte –, sondern weil sie nicht mit dem emotionalen Schwert dreinschlagen können – was auch ich erst als Erwachsener gelernt habe. Diesen Lernprozeß schildere ich in allen Einzelheiten in meinem Buch „Max Stirner und Tiefenwahrheit“.
Jupiters, ihm von Kleist eingegebene Beweggründe dafür und für seinen plötzlichen Wandel, zu dem Jupiter nach Lage der Dinge überhaupt nicht gezwungen ist, und die Art, wie Kleist diese Entscheidung Jupiters sich entwickeln läßt und logisch herleitet, sind mir im Moment nicht bekannt. Jetzt kommen wir zu den weiter oben erwähnten philosophischen Spekulationen, zu denen die Entwicklung des Stückes Anlaß gibt: Stattet Kleist Jupiter am Ende doch mit Mitleid und Erbarmen aus? Wird der Gott etwa, weil er das ja schon die ganze Zeit will, am Ende zum Menschen, der Mitleid mit seinen Gattungsgenossen hat? Aber er wird ja in den Himmel entschwirren …
Wie dem auch sei, Amphitryon freut sich jedenfalls wie zehn nackte Affen: „Ich bin’s!“
Er kann sein Glück nicht fassen, staunt, wundert sich und will jetzt nur noch wissen, wer ihn da so dermaßen verarscht hat, fragt Jupitern: „Und wer bist du, furchtbarer Geist? Jupiter: Amphitryon. Ich glaubte, daß du’s wüßtest.“ (Das klingt wie Wotan in Wagners „Rheingold“, der die Wissende – also sein eigenes Tiefenbewußtsein analog zum symbolischen Allwissenden Jupiter – fragt: „Wer bist du, mahnendes Weib?“ – „Ich bin die Erda, die Uralte, die weiß, was nie ward, weiß, was ewig wird.“ Und Wotan in „Siegfried“: „Bist du der Welt weisestes Weib, sage mir nun: wie besiegt die Sorge der Gott?“ Wotan will Bewußtsein erlangen; besonders darüber, wie er seine Sorgen loswerden kann. Doch Erda sagt ihm, daß er dafür er selbst werden und nicht länger Ego und Narziß raushängen muß, ansonsten er niemals etwas wissen wird: „Du bist – nicht was du dich nennst!“ Wotan legt sich mit der „Uralten“ an, patzt pampig zurück: „Du bist – nicht, was du dich wähnst! Urmütter-Weisheit geht zu Ende.“ Hier kommt Wagners tatsächliches Wissen und seine Empörung zum Ausdruck: Das göttliche Wissen ist kein menschliches Wissen; es nützt den Menschen nichts. Gott ist tot und hat uns verlassen – aber darin liegt die Große Chance! Gott muß sterben, damit wir leben können.)
Falls Sie, lieber Leser, es überlesen haben sollten, erkläre ich es noch einmal: Jupiter spricht nicht etwa Amphitryon an, wenn er den Namen sagt, sondern: Auf Amphitryons Frage, wer er sei, antwortet Gott: „Amphitryon.“ – Was bedeutet das? Was will Gott damit sagen? – Wir kommen hier also auf Kleists Ich-Verlust und theistisches Bedürfnis zurück: Indem Gott sich selbst als Amphitryon bezeichnet, sagt er, daß er in Amphitryon drin steckt und daß umgekehrt Amphitryon auch Jupiter ist. Was Kleist hier Gott tun läßt, ist, Amphitryon den Rücken zu stärken bzw. ihm erst einmal mit einem Rückgrat auszustatten. Erst etwas Göttliches, Außer-Subjektives und -Irdisches bringt den Menschen dazu, er selbst zu sein. Dieses Außer-Irdische – Abgehobene, Transzendente – verleiht dem Menschen erst eine gewisse Energie, einen Geist – im Grunde aber sein (falsches) Selbst und (falsches) Selbstbewußtsein. Er selbst ist dazu von alleine laut Kleist nicht in der Lage.
Wenn ich sage: „verleiht dem Menschen erst eine gewisse Energie“, so meine ich diese Energie natürlich im stirner’schen Sinne als einen Sparren, als einen Spuk. Damit sage ich nicht, daß es keine Energie gibt; damit sage ich nur, daß wir zwar real-materiell Energie brauchen, aber nicht in ihrer geistigen Perversion als Konstituante unseres Ichs, als physikalistische Transzendenz. Natürlich liegt die göttliche Energie den Theisten zufolge nicht außer uns; sondern sie sagen: „Die Energie ist in euch, ihr seid die Energie, ihr seid Jupiter! Die göttliche Energie ist in euch.“ Eine solche Idee – nicht reale Energie – hat aber ein Mensch überhaupt nicht nötig, um er selbst zu sein. Dafür braucht er nur die emotionale Immanenz.
Ich hoffe, Sie, lieber Leser, verstehen das; Amphitryon versteht es nicht: „Amphitryon!“ – Kleist hat hier ein Ausrufezeichen gesetzt anstatt eines Fragezeichens mit einem Ausrufezeichen (?!). So müßte es aussehen: „Amphitryon?!“, denn Amphitryon ist zwar äußerst verwundert, aber er fragt Jupiter, bettelt ihn an, ja, wird sogar ungeduldig. Mit „Ich glaubte, daß du’s wüßtest“ hatte Jupiter zunächst pädagogisch wertvoll gewirkt. Er will, daß Amphitryon selbst darauf kommt, übt Hilfe zur Selbsthilfe. Aber Amphitryon bleibt begriffsstutzig; er weiß noch immer nicht, wer ihn nach Strich und Faden verarscht hat; Jupiters religionsphilosophischen Hinweis versteht er nicht. Aber immerhin wird Amphitryon jetzt ungeduldig, und das ist ja viel wichtiger! – Ihm platzt endlich der Kragen – er „empört“ (Stirner) sich; er wirft Gott vor, in Runen zu sprechen: „Das faßt kein Sterblicher. Sei uns verständlich.“
Darauf wird auch Jupiter lauter und deutlicher: „Amphitryon! Du Thor! Du zweifelst noch? (…) Das Licht, der Aether, und das Flüßige“ – in der Aufzählung fehlt nur noch Wilhelm Reichs „Orgon“– „das was da war, was ist, und was sein wird“, spricht Jupiter weiter im Stile Erdas.
Jetzt dämmert es Amphitryon, und der Groschen fällt langsam; sogleich wendet er sich als Halbweiser ans Volk: „Hier, meine Freunde, sammelt euch um mich, und laßt uns sehn, wie sich dies Räthsel lös’t.“
Jetzt geben Jupiter und Alkmene ein kurzes Intermezzo, das mir unverständlich bleibt; Amphitryon aber offenbar auch, denn er will das gar nicht hören, kümmert sich um das wesentliche. Er reißt seinen ganzen Mut zusammen und herrscht Jupiter jetzt regelrecht an: „Heraus jetzt mit der Sprache dort: Wer bist du?“
Wir müssen uns wieder vor Augen führen: „Wer bist du?“ heißt: Wer ist derjenige, der sich als ich, als Amphitryon, ausgegeben hat, der alles von mir weiß, um bei Alkmenen absolut glaubwürdig als Amphitryon durchzukommen. Wer ist also der, der mehr als identisch mit Amphitryon ist, weil er mehr weiß als Amphitryon? Wer ist dieser Über-Amphitryon?
Jetzt setzen auf der Bühne „Blitz und Donnerschlag“ ein, das große Tamtam dröhnt und die Windmaschine leiert furchtbar wie in Wagners „Fliegendem Holländer“. Jetzt wird es richtig spannend, jetzt wird die „Jahrtausendfrage“ gelöst – wer bin ich?, wer sind wir eigentlich?! –, jetzt kommt der Moment, wo der Elefant sein Wasser läßt: „Die Scene verhüllt sich mit Wolken. Es schwebt ein Adler mit dem Donnerkeil aus den Wolken nieder“, und Jupiter fast bedrohlich, den allzu empörig-frechen Amphitryon irgendwie in die Schranken weisend: „Du willst es wissen? (er ergreift den Donnerkeil; der Adler entflieht.)“
Unerträgliche Spannung, das Volk ist am Ausflippen: „Götter!“ Das heißt: Steht uns bei!
Doch Gott rückt immer noch nicht heraus mit der Sprache, spannt die Menschen auf die Folter, will – das ist Kleist als Aufklärer –, daß sie selbst drauf kommen, fragt noch einmal nach: „Wer bin ich?“
Jetzt dämmert es endlich nicht dem Volk, aber den Feldherren und Obersten (die vorhin von Amphitryon als Zeugen aufgerufen worden und ihm in den Rücken gefallen waren): „Der Schreckliche! Er selbst ist’s! Jupiter!“
Alkmene begreift, sie ist kurz vor der Ohnmacht: „Schützt mich ihr Himmlischen! (sie fällt in Amphitryons Arme.)“ – Zumindest weiß sie jetzt etwas: nämlich, wer von beiden der richtige Amphitryon ist. Darin findet sie eine Art Erlösung, ein von außen gereichtes Ende der Nichtwissensquälerei.
Amphitryon wird schon, bevor es die Feldherren und Obersten taten, gewußt haben, wer sein Doppelgänger ist, ihm hat es aber die Sprache verschlagen. Jetzt sagt Amphitryon etwas, das sich anhört, als ob er sich aus lauter Dankbarkeit Jupitern unterwirft, weil der so gütig war und das Rätsel gelöst hat, als ob er sich Jupitern buchstäblich zu Füßen wirft: „Anbetung dir in Staub. Du bist der große Donnerer! Und dein ist alles, was ich habe.“
„Alles, was ich habe“ heißt vor allem auch: alles, was ich bin. Amphitryon ist also ganz Gott, er ist Jupiter – nicht Amphitryon, nicht er selbst. Er „definiert sich ganz durch Jupiter“, wie es Hobbyphilosophen ganz richtig sagen.
Jetzt stimmt auch endlich das Volk ein: „Er ist’s! In Staub! In Staub das Antlitz hin! (Alles wirft sich zur Erde außer Amphitryon.)“ Mit „Anbetung dir in Staub“ hatte Amphitryon also dem Volk befohlen, sich hinzuwerfen; für ihn gilt das – Kleist wieder ansatzweise Aufklärer – eigenartigerweise nicht. Liegt hier etwas mehr von einer fast schon atheistischen Empörung, ein Ansatz nietzschischen Gottesmords gar vor?
Aus Dankbarkeit gegenüber Amphitryon (daß er mit einer echten Menschin, Amphitryons Frau Alkmene, Liebe austauschen konnte) „soll dir ein Zeichen werden“. Jupiter lobt Amphitryon für dessen Orgontreue und Eigneruntreue: „Was du, in mir, dir selbst gethan, wird dir bei mir, dem, was ich ewig bin, nicht schaden.“ – Hier bemüht Kleist abermals die Figur der Identität von Ich und Gott: Ohne Gott bin ich nicht(s). Thomas Mann geht richtigerweise sogar noch weiter: „Der Allherr ist auf vollere, auf idealistisch-wesentlichere Weise Amphitryon als dieser, er übertrifft ihn im Er-selbst-Sein, er sticht ihn aus, und ihm, dem wahren Amphitryon, fliegt alle Anerkennung entgegen, nicht dem wirklichen.“lxxix „Nicht schaden“ heißt: Es wird dir nützen; es wird eine Art Lohn sein, den Jupiter Amphitryon für dessen Selbstaufgabe gibt.
Worin besteht jetzt das „Zeichen“ Jupiters? In welcher Belohnung soll sich Jupiters Dankbarkeit Amphitryon gegenüber auszahlen? – Jupiter bietet ihm eine Entschuldigung an: „Willst du in meiner Schuld den Lohn dir finden, wohlan, so grüß’ ich freundlich dich, und scheide.“ Außerdem lockt er ihn mit einer riesigen fame: „Es wird dein Ruhm fortan, wie meine Welt, in den Gestirnen seine Grenze haben.“
Aber Jupiter merkt schon, daß Amphitryon das alles nichts bedeutet; er ist auf dem Weg zum Eigner schon ein wenig vorangekommen: „Bist du mit deinem Dank zufrieden nicht, auch gut: Dein liebster Wunsch soll sich erfüllen, und eine Zunge geb ich ihm vor mir.“
Amphitryon empört sich tatsächlich weiter – und wir halten Kleist schon für einen Neuaufklärer –, ruft keck aus: „Nein, Vater Zeus, zufrieden bin ich nicht!“ Und er kann auch für sich selbst sprechen. Jupiter dachte allen Ernstes, er müsse Amphitryon bei der Formulierung seines Wunsches behilflich sein, doch die Zunge für den Dank braucht Jupiter ihm durchaus nicht geben. Amphitryon ist jetzt fast erwachsen und mündig, er braucht keinen Gott dafür: „Und meines Herzens Wunsche wächst die Zunge.“ Die Eigenheit kommt aus dem Herzen, nicht aus dem Hirn – der Neuaufklärer in Kleist weiß es.
Was aber hat Amphitryon bei Jupiter gut? Was ist nun sein liebster Wunsch, das höchste seiner Gefühle? Er kann jetzt den ganz großen Treffer landen, etwa wie Siegfried Wotan besiegen. Jupiter ist sicher dermaßen gütig und stellt ihm bestimmt auch das frei. – Aber nein, Kleist läßt jetzt Amphitryon eine ganz sonderbare Entscheidung treffen: Er bringt jetzt alles, wozu er es auf dem Weg zum Eigner gebracht hat, wieder zum Einsturz: Sein sehnlichster Wunsch ist nicht etwa, daß er der Einzige Amphitryon wird, Jupiter ihn nie wieder verarschen kann und er zu einem Eigner gekürt wird – sondern daß er von Gott einen Sohn „geschenkt“ bekommt! Amphitryon legt also einen kapitalen Bauchklatscher hin, und Kleist erweist sich nicht einmal als Altaufklärer.
(Selbstverständlich kann man nicht zum Eigner gekürt werden. Den muß man sich – gegen seine inneren Götter – selbst erobern, selbst aneignen.)
Amphitryon versagt also auf ganzer Linie und mit ihm Kleist, wenn er ihn so einen Wunsch haben läßt. Amphitryon/Kleist zieht regelrecht und buchstäblich den Schwanz ein: Er braucht Jupiter immer noch – sogar zum Geschlechtsverkehr. Na gut, es geht natürlich auch darum, was für ein prächtiger Sohn es sein soll.
Und damit kann aber jetzt erst einmal die eigentliche Belohnung stattfinden, denn für den Verrat an sich selbst, wird Amphitryon überaus reich beschenkt: „Jupiter: Es sei. Dir wird ein Sohn geboren werden, deß Name Herkules: es wird an Ruhm kein Heros sich, der Vorwelt, mit ihm messen, auch meine ewgen Dioskuren nicht. Zwölf ungeheure Werke, wälzt er türmend ein unvergänglich Denkmal sich zusammen. Und wenn die Pyramide jetzt, vollendet, den Scheitel bis zum Wolkensaum erhebt, steigt er auf ihren Stufen himmelan und im Olymp empfang ich dann, den Gott.“ (Es hört sich an wie Wotans Burg „Walhall“ – „auf Berges Gipfel die Götterburg; prächtig prahlt der prangende Bau!Wie im Traum ich ihn trug, wie mein Wille ihn wies, stark und schön steht er zur Schau; hehrer, herrlicher Bau!“ –, die am Ende in der „Götterdämmerung“ zusammenkrachen wird.)
Amphitryon bedankt sich brav, Jupiter ist wirklich zu gnädig: „Dank dir!“ Aber er bittet noch um Alkmene, die er sich auch nicht alleine nehmen kann: „ – Und diese hier, nicht raubst du mir? Sie athmet nicht. Sieh her.“
Jupiter, wieder gebieterisch-gnädig-väterlich-weise: „Sie wird dir bleiben; doch laß sie ruhn, wenn sie dir bleiben soll! –“, und schwirrt davon: „(Er verliert sich in den Wolken, welche sich mittlerweile in der Höhe geöffnet haben, und den Gipfel des Olymps zeigen, auf welchem die Olympischen gelagert sind.)“
Kleist stellt das schwache Individuum und seine eigene Begriffsstutzigkeit sehr gut dar. Aber den Ausgang aus dem Schlamassel der Ichlosigkeit kennt und sagt er nicht, er verbleibt im theistischen Paradigma als Grundlage des Ichs. Immerhin rückt Kleist ansatzweise vom Theismus ab: Daß Jupiter bei ihm so die Menschen beschleicht und sich unter sie mischen will – wenngleich mit psychopathisch-kriminellen Mitteln –, ist Ausdruck eines Willens zur Unterwindung der Hirnspaltung in Ich und Gott, zumindest Ausdruck der Autonomie-Heteronomie-Verzweiflung – einer Krise, die eine Chance ist. Die Amphitryon- bzw. Menschwerdung Jupiters geht so weit, daß er mehr amphitryon’sch als Amphitryon wird und dann sogar plötzlich fast Amphitryons Eigner symbolisiert!: „In seiner Eigenschaft als Amphitryon, der Liebhaber [nicht der Gatte], äußert er ’sich‘ mit derart eifersüchtiger Gehässigkeit über den Amphitryon-Gatten, daß dessen Person ihre Existenz völlig außer ihm zu haben scheint und eine solche Ich-Doppelung Befremden erregen, ja, die Täuschung gefährden muß. (…) Noch einen Schritt, und er wäre entlarvt. Und möchte er’s nicht im Grunde sein?“ (Thomas Mannlxxx) Jupiter erschleicht sich seinen Genuß, gewiß, aber er will eigentlich gar kein Gott mehr sein: „Er wünscht“, schreibt Thomas Mann, „als er selbst, nicht als Amphitryon, dessen Antlitz er trägt, beglückt zu haben und beglückt worden zu sein.“lxxxi – Auch Gott leidet unter einem schweren Identitätsproblem, auch Gott möchte gern – so lautet der philosophische Hintergrund Kleists – Eigner sein, wie ja Gott auch in Jesus Mensch geworden ist. Wir könnten anschließend hieran allerhand weitere philosophische Überlegungen anstellen, zu denen Kleists Stück zusätzlich Anlaß geben, u.a. darüber, warum Jupiter so einen großen Wert darauf legt, Alkmenes Geliebter und nicht Gatte zu sein. Aber wir wollen bei dem für uns wesentlichen bleiben:
Der Trick als symbolische Abkürzungen bei der Darstellung und Wahrnehmung von Wirklichkeit 2 (Zusammenfassung)
Kommen wir zusammenfassend auf den Trick zurück: Der Fundamentaltrick, der das ganze Stück bestimmt – und insofern es konträr zur Tiefenwahrheit steht –, ist Gott, der sich unter die Menschen mischt und diese durcheinanderbringt; der sich insbesondere trügerisch an Alkmene ranschmeißt und diese bis in den Irrsinn verwirrt. Dadurch wird sofort ihr Mann, Amphitryon, in Mitleidenschaft gezogen, was bald dazu führt, daß er, wie Thomas Mann sagt, „nunmehr weiß, ohne es zu begreifen“ („Er überrascht die Gattin, das weiß er. Wie sehr er es tut, das weiß er nicht.“).
Allein darin liegt schon eine solche tiefe und traurige Entwürdigung. Ich erinnere wieder daran: Wir sind alle tief entwürdigt, weil tief entwürdigt worden. (Das hängt mit der Großen Verarschunglxxxii zusammen, die ich oft in meinen Videos thematisiere.) Wie und warum diese Entwürdigung geschehen ist, das wissen wir nicht mehr, geschweige denn, daß wir es rekonstruieren könnten. Kleist rekonstruiert Amphitryons Entwürdigung, so minutiös er kann. Aber so stark er darin auch ist – er kann das nur mittels des Tricks darstellen. Kleist will eine Entwürdigung zeigen, aber die Amphitryons wurde anders verursacht als durch eine göttliche Intervention. Von der eigentlichen Entwürdigung mit ihrer wahren Ursache weiß Kleist nichts. Immerhin stellt er die Entwürdigung fest; er muß sich aber eines Tricks bedienen und die ganze Entwürdigungsäthiologie extrem abkürzen, um wenigstens das Resultat – die Entwürdigung – zeigen zu können. Amphitryon, der hier noch „nicht weiß“ und also auch gar nicht wirklich die ganze Entwürdigung empfinden kann, realisiert und merkt sie sehr bald, gemeinsam mit den Gefühlen von sowohl trauriger Verlorenheit als auch wütender Verzweiflung wegen des Nichtbegreifens.
Kleist weiß von der eigentlichen Entwürdigung, von der Großen Verarschunglxxxiii, nichts; daß er sie nur verkürzt darstellt, liegt nicht daran, daß er theaterökonomisch und dramaturgisch geschickt vorgehen muß – er erfaßt die eigentliche Tiefe tatsächlich einfach nicht. Darin liegt der Grund, warum er mit einem Trick arbeitet. Dieser zeugt nur von seiner Unfähigkeit. Im Trick liegt eigentlich gar kein rein künstlerisches Werkzeug – er ist ein Symbol, mit dem Kleist die Lücken in seinem Wissen überspielen muß, ist ein Symbol für Unbewußtes in Kleists zerstörter Seele.
Als sich Amphitryon und Alkmene, von Jupiter in den Irrsinn getrieben, gegenseitig zerfleischen, spricht Alkmene von einem „Kunstgriff“, der „abscheulich“ sei und sie „empöre“lxxxiv. Ich weiß nicht, was Alkeme hier meint. Meint sie das, was ich „Trick“ nenne? Spricht Kleist durch sie und bestätigt aus der Ferne meine Kunst-und-Wirklichkeits-Theorie?
Kleists wesentlicher Trick sind die Götter, ist die Gotthaftigkeit, die Omnipotenz von Figuren seines Bühnenpersonals. Was zunächst aussieht, wie ein rein technisch-dramaturgisches Mittel zur Abkürzung der Handlungsdarstellung durch Einführung von etwas Magischem, ist in Wirklichkeit nur Ausdruck Kleists Verlassen des Irdischen und seiner selbst. Auf Erden wurde er ganz offensichtlich zu viel verletzt. „Die Wahrheit ist“, schreibt er im Abschiedsbrief an seine Schwester Ulrike, „daß mir auf Erden nicht zu helfen war.“lxxxv „Zu viel Verletzung“ heißt Traumatisierung, Nicht-Verarbeitung der Verletzung (Verschmerzen) und Verabschiedung vom eigenen Ich, Abschiebung von wesentlichen Teilen des Ichs ins Nicht-Wissen, ins Unterbewußte, aus dem sie aber, per nachträglicher Verschmerzung, wieder hervorgeholt werden können – und mit ihnen der „Eigner“. (Siehe mein Buch „Die Wahrheit – sie sagen und in ihr leben“lxxxvi, in dem ich das alles detailliert erkläre.)
Daß Kleist in seinem Stück einen Gott das Rätsel lüften, das Chaos ordnen und das heillose Durcheinander lösen, also die Erlösung bringen läßt – eine rein technisch transzendentale Auflösung des Spannungsbogens –, ist wiederum nicht Resultat Kleists Dramaturgie, sondern Resultat davon, daß er sich selbst verlassen hat und das Chaos für ihn überwältigend wurde und immer blieb. Er kann sich nicht vorstellen, die Sache auch immanent aufzulösen und mit dem emotionalen Schwert dreinzuschlagen bzw. mit Stirner zu „jauchzen und Juchhe“ zu rufen. Kleist muß ins Mystische, muß in den Theismus abschwirren, er hat keine andere Wahl mehr. Kleist hat zu viel nicht verschmerzten Urschmerz in sich.
Thomas Mann beobachtet das richtig: „Eine rasende Behauptung nennt es Alkmene, daß ihr ein anderer ‚erschienen‘ sei; und dieses ‚erschienen‘ wiederholt sich von nun an, es ist der schwebende Sprachlaut, der die Handlung ins Mystische überleitet. Sie erinnert sich des Schmerzes, den ihr Gatte gezeigt, von dem sie doch weiß, daß er so wenig einer Tücke fähig ist wie sie selbst.“lxxxvii
Kleists Trick besteht tatsächlich im Erscheinen-lassen von etwas Irrealem, es sind tatsächlich Epiphanien. Alkmenes Tiefenkonfusion, Amphitryons Tiefenkonfusion und die Tiefenkonfusion aller anderen menschlich-irdischen Figuren kann für Kleist nur unter Rückgriff auf eine höhere, urgewaltige Macht erklärt werden. An dieser Stelle wird tatsächlich „ins Mystische übergeleitet“ (Thomas Mann). Daß dieser Sturz in die Tiefenkonfusion, diese Erschütterung der Ichhaftigkeit, die bis zum Verlust des Ichs geht, etwas völlig Diesseitiges ist, diese Ungeheuerlichkeit, diesen astronomischen Skandal kann sich Kleist nicht vorstellen. – Natürlich auch und erst recht nicht kann er sich vorstellen, daß man diese Mutter aller Skandale „verarbeiten“, rückgängig, entkräften, durch Tiefenwahrheit verschmerzen kann. Kleist hat den Skandal erfolgreich verdrängt. – Aber sein noch vorhandenes Rest-Ich – sein Mini-Eigner – kann keine Ruhe geben, es rumort in ihm, es will sagen, was ihm passiert ist; es will seine ganze schlimme Geschichte ausdrücken, sie drängt auf eine Verschmerzung.
Aber eine solche Verschmerzung ist mit künstlerisch-symbolischen Mitteln nicht zu schaffen. Kleist hätte selbst einfach nur ungeschminkt die Wahrheit sagen und schreien müssen. „Der Poet gibt uns“, wie Thomas Mann es unrichtig sagt, nicht „durch Worte und Aufschreie, die aus der Tiefe kreatürlichen Seins kommen, ganz zu erfühlen.“ Da bin ich ganz entschieden anderer Meinung als Thomas Mann. Es ist eben kein, wie Mann unrichtig sagt, „in komisch-sachliche Höflichkeit gekleidete Schrei des wahrhaft nackten, des seines Inhaltes beraubten Lebens nach Ersatz, nach einer neuen Identität“, den uns Kleist hier bietet. Nur diesseits der Kunst kann ein solcher „Schrei des wahrhaft nackten Lebens“ stattfinden.
Aber selbst im Bereich der Kunst fühlen Kleists Figuren zwar, sogar ziemlich heftig – so heftig, daß Goethe zumachen mußte –, aber Kleist will vor allem den ganzen Wahnsinn mittels strenger Architektur, mittels Geometrie, mittels Logik, also letztlich rein kognitiv darstellen und auch zur Auflösung bringen. Vor allem aber ist die Kunst hier generell der falsche Ort. Weil Kleist nicht ins Affektive gehen kann – unfähig ist, den Urschmerz zu fühlen –, muß er die Logik bis in die Unlogik, bis ins Mystische hinein treiben, um auszudrücken, was er unbedingt ausdrücken will, weil sein kaputter Eigner in ihm schreit. Wenn er seine Figuren fühlen läßt, dann, weil er es auch fühlt, und weil er davon ausgeht, daß sein Publikum es – sofern verrückt und ich-vernichtet – auch fühlt.
Thomas Mann ist sich gewahr, daß wir hier eigentlich das rein Kognitive verlassen müssen. Ich komme noch einmal auf sein „Herzstück“ zurück (bei dem ich ausgestiegen bin). Von diesem sagt Mann – damit zeigend, welch tiefes, wunderbares Verständnis er, im Gegensatz zu mir, für die Gesamtarchitektur des Stückes hat –: „Das zergliederte Wort faßt nicht den Reiz und Tiefsinn der Situation, die Geistigkeit und das leidende Gefühl dieses hohen Gesprächs [zwischen Alkmene und Jupiter]. Dreimal mit diamantener Unschuld gegürtete Schönheit wird in ihrer zarten und kindlichen Tiefe aufgewühlt, zu einer ungemäß schwierigen Selbstprüfung, Bewußtheit und Distinktion der Empfindung emporgezwungen durch das zärtlich-ehrfurchtsvolle und dennoch grausame Andringen des sehnsüchtigen Geistes, der gegen das Ende hin den Wahn verwünscht, der ihn ‚hieher‘ gelockt, und sich zuletzt, besiegt, mit dem Glück und Sieg seiner Göttlichkeit begnügen lernt.“
Mann hat zwar das mathematische Verständnis. Aber wenn das nicht – „ das zergliederte Wort faßt den Tiefsinn der Situation nicht“–, was dann? Hier klopft Thomas Mann an die Pforte zum Affektiven – zur Neuen Aufklärung. Er klopft, tritt aber nicht ein, sondern dreht sich wieder um und geht davon. Anstatt das stirner’sche Jauchz-Schwert in die Hand zu nehmen und in die notwendig werdenden Affekte zu gehen, dreht er nach oben ab, schwirrt er – wie es auch Kleist und sein Jupiter tun (alle drei scheuen die Affekte) – hinauf ins Mystische: „Hinein aber, in witzig-frommer Andeutung, spielen beständig Lichter des Himmlischen und Übersinnlichen, läuten leise Gedanken bildlicher Liebe der Ewigkeit.“lxxxviii Hier müßten aber – und zwar natürlich nicht nur auf der Bühne, aber das wäre schon mal ein Anfang – Urschreie „hineinspielen“ anstatt „Lichter des Himmlischen und Übersinnlichen“ und „leiser Gedanken bildlicher Liebe der Ewigkeit“. Die Liebe, um die es uns geht (und eigentlich auch Kleist und Mann), ist nicht „bildlich“ , und sie ist keine der Ewigkeit, sondern im Hier & Jetzt.
2. Richard Wagner geht – im Gegensatz zu Kleist – bereits unter die Tricks und Symbole in die Gefühle
Thomas Mann spricht von einem „rettenden Gedanken“, meint aber, dieser läge „im metaphysischen Hintergrund“. Wovor „retten“? Vor dem verzweifelnden Irrsinn der menschlichen Protagonisten. Anläßlich Sosiassens Verlust der geistigem Kontrolle schreibt Mann, verallgemeinernd: „Sie zappeln blind und hilflos in Netzen, die, würde der so naheliegende [rettende] Gedanke nur einen Augenblick gefaßt, die Spinnengewebe zerreißen würden. Auch die äußerste Bedrängnis ist nicht vermögend, irgend jemanden auf den rettenden Gedanken dieser Möglichkeit zu bringen.“lxxxix Welcher Möglichkeit? Worin besteht laut Thomas Mann die Rettung? – In einem „Wunder“. Wir haben bereits gesehen, daß es das „Naheliegende“ wäre, mit dem das „Spinnengewebe zerrissen“ werden könnte, stirneristisch, d.h. ciskognitiv-neuaufklärerisch vorzugehen und zu „jauchzen“. Das stirner’sche Juchhe und die Neue Aufklärung sind der „rettende Gedanke“, den Mann ahnt, sind die Erlösung. Aber Mann ist ganz der Künstler, ganz im Künstlerischen verhaftet; das durch ein „Wunder“ ermöglichte „Zerreißen von Spinnengeweben“ wäre bei ihm nur eine Handlung in einem Theaterstück.
Jedenfalls analogisiert Thomas weiter zu einem Kunstwerk, einem anderen Theaterstück: „So ist es in jener schwer erträglichen Speer-Schwur-Szene im zweiten Akt der ‚Götterdämmerung‘, wo ein rein äußerliches Mißverständnis, herbeigeführt durch das Märchenrequisit des Vergessenheitstrankes, eine heillos tragisch-theatralische Ausbeutung erfährt, die jeden, dem das heillos Tragische nicht um jeden Preis willkommen ist, unerlaubt anmuten muß. Ein goldener Knabencharakter wie Siegfried! Eine Handlungssphäre, in der Zaubertränke und unsichtbar machende Kappen gang und gäbe sind – und niemand, am wenigsten Brünnhilde, die ehemalige Göttin, deren rasende Kopflosigkeit bei diesem Auftritt schlechtin ärgerlich ist, kommt auf den Gedanken: Der Mann muß was getrunken haben! Liegen die Dinge im Amphitryon nicht ähnlich? Ähnlich, ja, wenn Kleist auch gewissenhafter arbeitet. ‚Wir haben einen Teufelswein getrunken, der die Gedanken rein uns wegspült‘, sagt Sosias einmal, und wenn das auch nur einen Metapher sein soll, so ist es doch etwas wie ein Lichtblick. Amphitryon selbst äußert in höchster Not:
Ich habe sonst von Wundern schon gehört,
Von unnatürlichen Erscheinungen, die sich,
Aus einer anderen Welt hieher verlieren.“xc
Thomas Mann stellt also auch hier – bei Wagnern – die Benutzung eines Tricks fest, der die ganze, die tiefe Wahrheit ersetzt – zumindest auf der Bühne (wir wollen nicht erwarten, daß weder Mann noch Wagner dies diesseits der Kunst getan hätten).
Mir ist in den Geist gekommen, daß Wagner Kleists „Amphitryon“ als Musikdrama hätte adaptieren können. Viele Szenen sind echt wagner’sch: Die rasenden Alkmene und Amphitryon wären ein geeignetes Material für Wagner gewesen. Er wird das Stück gekannt haben. Er könnte sich sogar von Kleist Grob- und sogar auch das Fein-Mathematische abgeguckt haben: Auch sein „Tristan“ ist mit den drei Akten symmetrisch aufgebaut, seinen Höhepunkt genau in der Mitte des zweiten Aktes mit dem coitus interruptus habend. Dazu gehört auch, daß die Akte jeweils einem Land zugeordnet sind: Irland, Kornwall, Bretagne; der erste und der dritte Akt sind „parallel gebaut“.xci
Vor allem wäre ihm als Spätromantiker aber der Trick des Frühromantikers, der Kleist ja auch irgendwie war, entgegen gekommen. Künstlerisch-magische Tricks waren zu Zeiten der Romantik stark in Gebrauch, aber der Meister der Tricks war ohne Zweifel Richard Wagner. Seine Musikdramen wimmeln von magischen Kunstgriffen und künstlerischen Behilfsmitteln; es seien hier nur die Über-Symbole Tarnkappen, Tränke und Gifte samt Gegengiften genannt. Auch der Fluch ist etwas Übersinnliches und Symbolisches: Der Ring des Nibelungen kann verfluchen. Das sind alles Dinge, die im richtigen Leben ohne Mystik geschehen. Selbstverständlich kann man zu bestimmten Verhaltensweisen regelrecht wie verwandelt oder verflucht sein – aber nicht im magisch-mystischen Sinne. Die Mystik nehmen nur die zur Hand, die Opfer von Verwirrungen und Bewußtseinsverdrängungen werden und allemal Kunst produzieren können.
Die Kunstwerke sind zwar großartige Leistungen, aber wenn es darum geht, daß ein Mensch sich in seiner Tiefe ausdrückt, dann gehören sie nicht zu den tiefsten Manifestationen.
Verstehen Sie mich nicht falsch, lieber Leser, ich bin selbst großer Kunstliebhaber und höre mir manchmal rund um die Uhr Wagner-Opern an, aber es ist nicht der tiefste menschliche Ausdruck. In ihnen wird zwar viel mehr ausgedrückt, als es sich die zahlreichen Interpreten seiner Opern vorstellen können. Und viele Kritiker Wagners sehen in ihm Ideologisches, ohne einmal richtig hinzuhören. Wagner fühlt nämlich viel mehr und weiß auch viel mehr – ohne das verbal ausdrücken zu können – als jene Kritiker, die vermeinen, auf dem Weg in die Neue Aufklärung einen großen Vorsprung vor Wagner zu haben.
Das Gegenteil ist der Fall: Sie fühlen seine Musik gar nicht. Laska hat z.B. Wagner als Vertreter einer Neuen Aufklärung, der er ansatzweise durchaus war, links liegen gelassen, nur weil er rein philosophisch-verbal nicht an Stirner angeschlossen hat, sondern an Feuerbach und Schopenhauer, die er aber ganz auf seine Weise – oft im gegenteiligen Sinne der beiden – verarbeitet hat. Selbst in einer ganz mystischen Oper, wie es der „Parsifal“ ist, erklingt Musik, die auch jemanden fühlen läßt, der überhaupt kein Mystiker ist – gleiches läßt sich von jeglicher religiöser Musik sagen. Dabei war absolut klar, daß Wagner nicht nur unphilosophisch durchaus starke stirneristische Züge hatte, sondern durch Hans von Bülow und August Röckel von Stirner gehört hat. Der Stirner-Biograph Mackay schreibt, von Bülow habe Stirner „persönlich gekannt“ und sei „ein begeisterter Bewunderer seiner Arbeit“ gewesen. Für mich ist es angesichts Bülows sehr enger Zusammenarbeit mit Wagner ausgeschlossen, daß Wagner nichts von Stirner erfahren hätte. Von Bülow war dermaßen von Stirner fasziniert, daß „auf seine Veranlassung“ laut der Gedenktafel-Datenbank für Berlin 1892 eine Granittafel mit goldener Inschrift am Haus Philippstraße 19 angebracht worden ist, wo Max Stirner seine letzten Lebensjahre verbracht hatte.xcii
Aber es geht hier eigentlich gar nicht um Philosophisches, sondern um das, was unter der Philosophie liegt. Die Musik ist ein viel tieferer menschlicher Ausdruck – Ausdruck auch im Sinne des Eigners, zumindest des Vor-Eigners –, als es die Philosophie je sein könnte. Aber unter der Musik liegt wiederum noch etwas Tieferes, und das ist die symbolfreie Tiefenwahrheit.
Ich sage nicht, daß der tiefste menschliche Ausdruck unterhaltsam ist, wie das die Kunst ist. Ich sage auch nicht, daß es überhaupt einen tiefsten menschlichen Ausdruck geben müsse. Ich sage nur, daß, wenn es um diesen geht, er am Ende eben nicht in der Kunst zu finden ist – dann aber eine um so tiefere „Unterhaltung“, nämlich den Selbstgenuß beschert. Isoldes Liebestod ist ohne Zweifel ein äußerst tiefer, wahrscheinlich der tiefste je gehörte künstlerische Ausdruck und faßt unser tragisches Leben restlos zusammen, so daß kein Hören geschehen kann, ohne daß ich bei „in des Welt-Atems wehendem All“ in Weinen ausbrechen muß. Das hält sich durchaus mit nichtsymbolischem Ausdruck an Intensität die Waage. Hier stoße ich mit meiner symbolskeptischen Meinung an meine Grenze.
Wagner vollbringt hier offenbar tatsächlich ein „Wunder“. Der Dirigent Philippe Jordan sagt passend dazu: „Wagner staunt über sich selbst, was am Ende [des Komponierens] dabei herauskommt, an welche tiefen Schichten man kommt. Ich glaube, das ist Wagner erst mal beim Dichten klargeworden und dann natürlich musikalisch. Da hat ihn das … [überwältigt], da hat das über Hand genommen.“ Was Wagner klargeworden ist, ist, daß die Symbole mit konkreten Gefühlen und Bewußtsein ausgefüllt sind. Bei Beginn des Textens und Komponierens hat er wohl aus seinem Unterbewußten heraus als tiefstmöglichem Ausdruck seiner Gedanken und Gefühle zu Symbolen gegriffen; es ging einfach nicht anders; auch ziemlich unbewußt wollte er sich ausdrücken.
Aber im Verlaufe des textlichen und musikalischen Ausdrückens hat er dann realisiert, wofür diese Symbole überhaupt stehen. Diese Bedeutungen dann läßt Wagner in seine Komposition und sogar auch in den Text einfließen. Philippe Jordan sagt zu den Symbolen „Weise des Hirten“ und „Liebestrank“: „Tristan hört im 3. Akt die Weise, wird sich dann plötzlich klar, daß die Weise schon da war, als er geboren wurde und seine Mutter und sein Vater gestorben sind. Der Trank ist nicht schuld; Tristan merkt, daß er der Trank ist, daß das alles in ihm ist: diese unglaublichen Abgründe in ihm, die ihn erst dahin geführt haben.“xciii Wagner merkt wohlgemerkt, nicht Tristan; Wagner läßt es Tristan merken: „Den furchtbaren Trank, der der Qual mich vertraut, ich selbst – ich selbst, ich hab‘ ihn gebraut! Aus Vaters Not und Mutterweh, aus Liebestränen eh und je – aus Lachen und Weinen, Wonnen und Wunden hab‘ ich des Trankes Gifte gefunden!“
Daß der Liebestrank im Grunde nicht wirklich etwas Symbolisch-Mystisches ist, beweist auch, daß es laut Elias Corrinth für ihn gar kein eigenes Leitmotiv gibtxciv. Der Liebes-Trank hat das Leitmotiv der Liebes-Sehnsucht, obwohl er doch das „wichtigste Requisit der ganzen Oper“ sei! Es stellt sich an dieser Stelle heraus, daß es gar keines Trickes bedarf: „In der Musik existiert der Liebestrank also eigentlich gar nicht.“xcv Wagner hatte hier schon den Symbolismus hinter sich gelassen – eine erstaunliche, gar nicht überzubewertende Tatsache. Im Textlichenxcvi gibt es noch etwas, das aber eine Etage tiefer – im Musikalischen als Ausdruck nur der Gefühle – gar nicht existiert. Wagner kann also hier musikalisch-inhaltlich entsprechend auf einen Trick verzichten. Elias Corrinth: „Der Liebestrank ist dazu da, die schon existierenden Gefühle in die Wirklichkeit zu bringen oder – wie Thomas Mann dazu geschrieben hat –: ‚Der Liebestrank im Tristan ist bloßes Mittel, eine schon bestehende Leidenschaft freizumachen.’“xcvii
Das, was Tristan verwandelt hat, aber dann auch wieder rückverwandeln wird, das sind die „Liebestränen“ usw., d.h. Urschmerz und Verschmerzung. Sich selbst führen Wagner (beim Komponieren) und Tristan (als Bühnenfigur) sich verwandelnd in die Tiefe; es braucht kein Zaubermittel. Hier ist kein Symbol und kein Gott mehr im Spiel; der Mensch eignet sich selbst wieder an qua seiner eigenen Gefühle und Gedanken; das sind reale Ansätze zu einer „Selbstermächtigung“ (Laska). Aber das ist alles damals, im 19. Jahrhundert, noch zu viel. Tristan/Wagner halten das noch nicht aus, sie werden rückfällig: „Den ich gebraut, der mir geflossen, den wonneschlürfend je ich genossen – verflucht sei, furchtbarer Trank! Verflucht, wer dich gebraut!“ Der Trank triggert noch zu viel. Der Eigner ist noch zu klein, der Urschmerz zu groß. Auch Laska wird rückfällig bzw. kann nicht in das hinunterstoßen, was er als das „Transnihilistische“ andeutet.
Im Rückfall kann Wagner nur noch genau das Gegenteil von Wissen und Ganzheit der Person als das Heil betrachten: Er läßt Tristan in seiner Not und Hilflosigkeit das Gegenteil von Bewußtsein – Nichtwissen und Verdrängung – als die Erlösung feiern: Nachdem ihm Kurwenal sagt: „Nun bist du daheim, daheim zu Land: im echten Land, im Heimatland“ – Symbol für personale Identität –, erwidert Tristan: „Dünkt dich das? Ich weiß es anders, doch kann ich’s dir nicht sagen. Wo ich erwacht – weilt‘ ich nicht; doch, wo ich weilte, das kann ich dir nicht sagen. Ich war, wo ich von je gewesen, wohin auf je ich geh‘ im weiten Reich der Weltennacht. Nur ein Wissen dort uns eigen: göttlich ew’ges Ur-Vergessen!“
Um es Kurwenal „sagen zu können“, hätte Wagner Stunden der Tiefenwahrheit nehmen müssen. Aber immerhin symbolisiert Wagner schon mal den Eigner mit dem „Daheim-sein“. Die Entsymbolisierung und Verwandlung der Heimat in Eignerschaft dann stelle ich in meiner Video-Reihe „Dugin Heimat“ dar.xcviii
Der Liebestrank ist die zumindest kurzzeitige „Aufhebung“ allen Leids, ist der pain killer. Er ist zwar dramaturgischer Trick – die Verkürzung des Ausbruchs der Liebe zwischen Tristan und Isolde –, er ist aber gleichzeitig auch das Symbol für die Verschmerzung der Urschmerzen Tristans. Aber da die Verschmerzung nur symbolisch ist, also nicht real stattfindet, die Sehnsucht nicht gestillt und das „Weh“ noch da ist, wendet sich Tristan aufgrund des Mißerfolgs schließlich gegen sich selbst und will sterben. Das entspricht dem Großen Entsagen des eigenen Willens, worin Wagner Schopenhauer zugestimmt hat. Nach Schopenhauer strebt der menschliche Wille stets nach Erfüllung, die ihm immer verwehrt wird. Dieses Verwehren bewirkt das Entsagen. Aber eigentlich sind es Schopenhauer, Wagner und Tristan selbst, die es sich die Erfüllung ihres Willens verwehren – weil das das Fühlen ihres Urschmerzes bedeutet, der ihnen wiederbegegnet, sowie sie ihren Willen spüren.
Der Liebestrank, der Wagner/Tristan selbst ist, verwandelt Tristan aus einem mittelmäßigen, feigen Menschen so sehr in einen solchen – authentischen, eignerischen –, den Isolde dann bei dessen Sterben in reinster Liebe besingen wird, dessen Liebe und Ausfüllen aller menschlichen Möglichkeiten und somit Beendigung der Sehnsucht sie besingt. Der Trank ist dann kein Trick mehr, keine Abkürzung Tristans Entwicklung.
Dieser wagner’sche Höhepunkt (eigentlich „Tiefpunkt“) – Isoldes „Liebestod“ –, der das rein und bloß Künstlerische schon untertrifft, steht aber in Wagners Schaffen einmalig da. Er ist trotz der Menge an faszinierender Wagner-Musik fast eine Ausnahme. Wagner bleibt natürlich meistens im Symbolischen. Aber es gibt auch weitere Stellen, wo die Emotionen auch direkt hervortreten, z.B. im Erlösungsmotiv in der „Götterdämmerung“. Generell unterläuft die zum Text gehörige Musik immerhin die textliche Symbolik.
Weitere Symbolik bei Wagner – hier als Ersatz für Selbstbewußtsein
Das trifft auch auf Wagners Schicksalsnornen im „Ring“ zu. Von denen kann man wie von Zigeunerwahrsagerinnen etwas über sich selbst erfahren. Wotan will das wie irre, denn er weiß – trotz großer Klappe – nur wenig über sich. Auch Wotan weiß – wie die Figuren im „Amphitryon“ – nicht so richtig, wer er ist, weil er verwirrt worden ist.
Wagner bringt die Nornen aber nicht nur, um Wotans Unbewußtsein zu zeigen, sondern um – wie Kleist – extrem komplexe Entwicklungsetappen zu umgehen. Kleist und Wagner machen es sich mit ihren Tricks leicht. Die Darstellung von Komplikation und Konfusion ist zwar extrem intensiv und extensiv. Aber mit der wirklichen Wahrheit, die sie eigentlich darstellen wollen, aber nicht können, würde es noch leichter.
Die Entwicklungsetappen sind jedem prinzipiell zugänglich bei genügend Bewußtsein. Man weiß dann nicht, was man für ein „Schicksal“ hat, sondern wie und wer man genau ist und nicht anders sein kann. Ein solches Bewußtsein kann in seiner Gänze sowohl künstlerisch dar- als auch real hergestellt werden. Daß Wagner das nicht tat, lag freilich nicht nur daran, daß er dazu unfähig war und auf Symbole zurückgreifen mußte, sondern auch, weil er zu sehr als Künstler verdinglicht war und das aus dramaturgischer Sicht überspringen und abkürzen mußte. Aber besagtes Bewußtsein erhält man nur diesseits des Theaters durch Tiefenwahrheit.
Daß bei Wagner das Schicksalsseil der Nornen zerreißt, die Nornen mit ihrem Latein am Ende sind und Wotan also in seinem dringlichen Wunsch nach Bewußtsein leer ausgeht, sagt, daß Wagner das eher als Chance denn als Krise gesehen hat: Das ist nämlich die Situation der Frustration, in der – wie Thomas Mann sagt – „Bewußtheit und Distinktion der Empfindung emporgezwungen“ wird, es ist der Moment des „grausamen Andringen des sehnsüchtigen Geistes“. (Das entspricht in der „Götterdämmerung“ dem von Hagen – und Siegfrieds Oberflächen-Ich – gesteuerten Verrat Siegfrieds an Brünnhilde: „Mich musste der Reinste verraten, daß wissend würde ein Weib!“xcix) Doch auch diese „äußerste Bedrängnis“ – wie wir Thomas Mann weiter oben schon sagen gehört haben –, „ist nicht vermögend, irgend jemanden auf den rettenden Gedanken dieser Möglichkeit zu bringen“. Der „rettende Gedanke“ liegt darin, daß Wotan – oder jeder Wotangleiche in der Wirklichkeit – sich emotional auf die Frustration durch die Nornen bzw. auf sein eigenes Nichtwissen reagieren läßt. Dann hätte Wotan die Chance, selbst seines „Schicksals“, das dann keines mehr ist, bewußt zu werden und nicht mehr auf Wahrsager im alten Sinne des Wortes angewiesen zu sein. (Das genau läßt Wagner, wie wir später sehen werden, Brünnhilde ansatzweise tun.) In der Tiefenwahrheit – in einem früheren Entwicklungsstadium „Wahrsagerei“c genannt –, ist der Kunde der „Wahrsager“.
Wagner deutet dieses ciskognitive Hinabsteigen in die tiefe Wahrheit zwecks Bewußtseins- und Identitätsbildung tatsächlich auch an. Er ahnt die richtige Konsequenz aus dem Versagen der Nornen und aus dem Wegfall der nornischen Heteronomie. Aber er greift dann abermals zu einem Symbolismus: In dem Augenblick, wo „die Weisen nichts mehr melden“, wo ihr Schicksalsseil reißt, läßt er die Nornen sagen: „Zu End‘ ewiges Wissen! Der Welt melden Weise nichts mehr. Hinab! Zur Mutter! Hinab!“ – Das ist immerhin ein Symbol für Tiefenwahrheit.
Aber Wagner symbolisiert nicht nur abermals, sondern – ganz im Gegenteil – er fetischisiert nun das Nornensymbol sogar noch und läßt es sich verselbständigen: Er beschreibt es in allen Einzelheiten, so daß sein eigentlicher Inhalt immer unkenntlicher wird. Physische Details, Accessoires und Ausschmückungen des Nornensymbols wie z.B. das ihres Schicksalsseils nehmen einen viel zu großen Platz ein. Da wird genauestens gesagt, wo das Seil gewoben ward (nämlich „einst an der Weltesche, da groß und stark dem Stamm entgrünte weihlicher Äste Wald“) und woran es nun gespannt werden muß, da Wotan von der Weltesche einen Ast abgebrochen und diese damit schließlich abgetötet hat; daß der Ersten Norn nun „die Tanne taugen muß, zu fesseln das Seil“, damit sie weiter an ihm spinnen kann; daß schließlich „das Seil an den scharfen Fels gefesselt“ werden muß und es „nicht fest spannt mehr der Fäden Gespinst“ und „verwirrt ist das Geweb’“; daß nun der Dritten Norn „zu locker das Seil“ ist – „mir langt es nicht“ – und sie fordert, damit des Seiles Ende „nach Norden geneigt“ sei, es „straffer gestreckt“ werden müsse; daß das Seil durch die Straffe und „des Steines Schärfe“ aber nun „schnitt in das Seil“, es schließlich reißt und mithin „die Weisen der Welt nichts mehr melden“ können usw.
: Hier sieht man den Wald vor lauter Eschen und Tannen nicht mehr, und der Bezug zum wesentlichen, zum Inhalt des Nornensymbols geht so gut wie völlig verloren. Wagner hat hier ein Formtief. Dieser Inhalt ist das Bewußtsein eines jeden Diesseitigen, der sich, weil von sich entfremdet, das Wissen von außen und von Orakeln als Heteronomien erhofft. Die „Weisen der Welt“ sind die zu keiner „Meldung“ mehr befähigten Menschen selbst: Sie waren einst weise, sie wußten um sich und fühlten, was sie wollen – waren autonom –, aber seit der neolithischen Revolution sind ihre Köpfe schwer vernebelt.
Bei der wagner’schen Fetischisierung des Symbols können wir also von einer Über- oder Metasymbolik sprechen: Das Symbol wird in weitere Symbole verwandelt, so daß jetzt – abgesehen von der freilich beeindruckenden Musik und zumindest auf verbaler Ebene – kein Mensch mehr weiß, wofür es eigentlich steht. Warum sollte aber das Verbale (Text) vernachlässigt werden, auch wenn wir die Gefühle (Musik) in den Vordergrund stellen?
Die Musik als Konterkarierung und ciskognitive Korrektur des Textes. Auch Ansätze textlicher Entsymbolisierung
Die Musik aber zeichnet – ganz diesseits des symbolistisch-mythisch-mystifizierenden Textes – hier mit den Nornen im Vorspiel zum 3. Akt der „Götterdämmerung“ wieder ein viel klareres Bild: nämlich das einer Düsternis und einer Okkult- bzw. Unbewußtheit. Wagner weiß und sagt in der Musik immer viel mehr als im Text. Die Musik sagt eigentlich schon alles über „der Fäden Gespinst“, das „verwirrte Geweb“ und das „verflochtene Geflecht“ – das sind eigentlich alles nur Bilder für das „Wirrsal“ der Menschen, für die kleist’sche Konfusion. Ein viel geeigneterer Text wäre hier eine kleist’sche Raserei, mit der – wie es Amphitryon und Alkmene zeigen – die Panik wegen des Nicht-Wissens und des Verlustes der Steuerung direkt und unsymbolisch ausgedrückt würde, auch wenn das eine still-verzweifelt-verlorene „Raserei“ wäre. So sehr gut Wagner hier wenigstens die Musik sprechen läßt, wollen wir aber nicht vergessen, daß auch die Musik nur ein Symbol ist.
Noch mehr aber auch textlich ins Konkret-inhaltliche vorstoßend und sich dem Nicht-Symbolischen nähernd, läßt Wagner Brünnhilde in der „Götterdämmerung“ singen: „Welches Zaubers Rat regte dies auf? Wo ist nun mein Wissen gegen dies Wirrsal?“ci – Brünnhilde beschwört das Konkrete der Tiefenwahrheit, sie will alles genau wissen gegen die Konfusion und begnügt sich nicht mehr mit Tricks. Sie will endlich dem Fluch zum Wirrsal – zum Gefangensein, zur Falle, in der wir alle sitzen –; sie will ihrer Verfluchung entkommen und zeigt sich dazu fest entschlossen. Brünnhilde kommt in ihrer Wut – in ihren Affekten – auch zu Ergebnissen: Sie erkennt jetzt Teile des Gestrüpps, der Verwicklung, erkennt nun Hagens Komplott. Hier deutet Wagner die Beendigung von Tricks und Symbolen und stirneristisch seinen Willen an, ein Eigner zu werden. Hier soll das richtige, ungekürzte Wissen entstehen und sich durchsetzen, das die Konfusion auflöst. Wagner läßt Brünnhilde zu erkennen beginnen und das Wirrsal zu entwirren: „Was riet mir mein Wissen? Was wiesen mich Runen? Im hilflosen Elend achtet mir’s hell: Gutrune heißt der Zauber, der den Gatten mir entrückt! Angst treffe sie!“cii – Interessant, daß auch hier – wie bei Kleists Paar Amphitryon/Alkmene – „ein Gatte mit Zauber entrückt“ (verrückt) wird. Brünnhilde spricht noch von den „Runen“, aber eigentlich weiß sie schon, daß es „mein Wissen“ ist.
Wagner greift dann aber – an der Stelle, wo das Wissen zu wachsen beginnt – wieder zur Symbolisierung: Er stellt dieses Wissen gleich am Anfang des 3. Aktes erneut symbolisch dar: Jetzt stehen wieder die Rheintöchter für das Tiefste, für Natur, Tiefenwahrheit, Erkenntnis, Bewußtsein, Schönheit, Liebe und Selbstregulierung: „Frau Sonne sendet lichte Strahlen; Nacht liegt in der Tiefe: einst war sie hell, da heil und hehr des Vaters Gold noch in ihr glänzte. Rheingold! Klares Gold! Wie hell du einstens strahltest, hehrer Stern der Tiefe! Frau Sonne, sende uns den Helden, der das Gold uns wiedergäbe! Ließ‘ er es uns, dein lichtes Auge neideten dann wir nicht länger. Rheingold! Klares Gold! Wie froh du dann strahltest, freier Stern der Tiefe!“
Der Held, den die Rheintöchter – das „Wasserwild“, die „drei wilden Wasservögel“, die „Wasserminnen“ (wie Siegfried sie nennt) – Frau Sonne bitten zu senden, soll bei Richard Wagner eigentlich Siegfried sein, ist aber niemand anderes als Max Stirner. (Brünnhilde nennt „des Rheines schwimmende Töchter“ „der Wassertiefe weise Schwestern“.)
Richard Wagner läßt Siegfried böse scheitern. Er ist bei Wagner eindeutig kein Eigner. Das ehrt Wagner; er will uns nichts vormachen, bleibt bei der Wahrheit. Aber immerhin drückt Wagner die Sehnsucht nach dem Eigner aus und deutet seine (und/oder dessen) Potentialität an. Immerhin zeigt er, wie – und auch ein wenig, warum – Siegfried scheitert, aber die Untersuchung der Beantwortung, die Wagner auf diese hochinteressante Frage im „Ring“ gibt, würde hier zu weit führen.
Wagner knüpft hier in der „Götterdämmerung“ an die letzten Takte im „Rheingold“ an, die das Institut für Tiefenwahrheit zu seinem Mottociii erkoren hat: „Rheingold! Rheingold! Reines Gold! O leuchtete noch in der Tiefe dein laut’rer Tand! Traulich und treu ist’s nur in der Tiefe: falsch und feig ist, was dort oben sich freut!“
Weitere Symbolik in „Siegfried“ und „Götterdämmerung“
Ein weiteres Symbol bzw. ein weiterer Trick sind die Stimmen der Vögel in „Siegfried“ als die Stimme der Natur – und damit als Siegfrieds Eigner. Sie verraten Siegfried, was Mime mit ihm vorhat. Er kommt im wirklich Leben ganz sicherlich selbst auf diese tiefere Wahrheit – als Eigner –, aber Wagner greift hier wieder nach einer Abkürzung. Siegfried soll ja eigentlich die Inkarnation des Eigners sein, was Wagner aber spektakulär und pessimistisch mißlingen läßt – man fühlt sich an Laskas Scheitern seiner eigenen „Selbstermächtigung“ erinnert.
Dann kommen in der „Götterdämmerung“ erneut Tränke zum Einsatz: Der psychopathisch-manipulative Hagen läßt Siegfrieds Bewußtsein erst verschwinden, indem er Gutrune anstiftet, Siegfried einen Trank zu verabreichen: „Gedenk‘ des Trankes im Schrein; vertraue mir, der ihn gewann: den Helden, des du verlangst, bindet er liebend an dich.civ (…) Hagen ist zu Gutrunes Türe gegangen und öffnet sie jetzt. Gutrune tritt heraus, sie trägt ein gefülltes Trinkhorn und naht damit Siegfried. Gutrune: Willkommen, Gast, in Gibichs Haus! Seine Tochter reicht dir den Trank.cv“
Hier ist Siegfried noch ganz voller Liebe für Brünnhilde – er lebt noch in seiner Wahrheit –: „Vergäss‘ ich alles, was du mir gabst, von einer Lehre lass‘ ich doch nie: den ersten Trunk zu treuer Minne, Brünnhilde, bring‘ ich dir!“ Aber sogleich beginnt der Trank zu wirken: Siegfried vergißt Brünnhilde und wird geil auf Gutrune, auf daß Hagens Komplott ins Werk treten kann.
Dann aber läßt Hagen wieder Siegfrieds Bewußtsein mit einem anderen Trank zurückbringen – aus strategischer Berechnung (das ist wie Jupiters „Wahrheit“ in Kleists „Amphitryon“): „Trink‘ erst, Held, aus meinem Horn: ich würzte dir holden Trank, die Erinnerung hell dir zu wecken.“cvi. Es ist die vollkommene Manipulation des Psychopathen Hagen: Was wie Bewußtsein aussieht, ist genau das Gegenteil: tiefste Verwirrung. Jetzt soll die Marionette Siegfried Hagen dabei nützlich sein, mit ausgerechnet der Wahrheit gegen sich selbst zu handeln. Siegfried soll jetzt vor aller Welt die Wahrheit sagen – aber nur mit Hagens Ziel, daß Siegfrieds Liebe mit Brünnhilde aufgedeckt und damit Siegfrieds Verrat Gunthern gegenüber ersichtlich wird. So zieht Hagen die Leute auf seine Seite und hetzt deren Mordlust gegen Siegfried auf.
Einmal verschwindet die Wahrheit (bzw. das Bewußtsein) mit einem Trunk, dann kommt sie mit einem anderen Trunk wieder – ganz nach Hagens Belieben und Plan. Doch in jedem der Fälle dient es nicht Siegfried selbst (seinem Eigner), sondern es dient als Mittel nur Hagens Zwecken. Siegfried läßt sich völlig in Hagen Rank verstricken, ist in ihm gänzlich verloren, existiert eigentlich nicht mehr, ist nur noch kleist’sche Marionette. Er selbst ist grundsätzlich verwirrt, ohne überhaupt zu wissen, daß er verwirrt ist; er ist gänzlich Hagens Spielball. Welch schreckliche Bilanz wagner’schen Eigner-Willens!
Mittels der Trank-Symbolik verkürzt Wagner einen höchst komplexen psychohistorischen Vorgang mit riesiger, entscheidender Tragweite auf dramaturgisch extreme Weise.
Siegfried vergißt Brünnhilde real und läßt sich real von Gutrune ablenken – und dieser Vergessens- oder Verdrängungsvorgang samt realem inneren Konflikt des fast„genitalen Charakters“ (Wilhelm Reich) bzw. Fast-„Eigners“ Siegfried, der zwischen zwei Frauen steht, ließe sich sehr wohl in allen Einzelheiten darstellen. Das macht die Tiefenwahrheit als radikalster Antisymbolismus, wenn sie den Eigner wieder hervorruft. Wagner kann das nicht, empfindet gleichwohl das Bedürfnis nach Darstellung und muß zwangläufig zu verkürzenden Tricks greifen. Das ist auch vom dramaturgischen Standpunkt aus berechtigt. Aber es bringt alles andere als eine Tiefenwahrheit; es bringt – um in Wagners Symbolismus zu bleiben – keine Runen, kein Wissen der Nornen.
Symbolisiertes tiefstes, vollständiges Bewußtsein
Wenigstens symbolisch – anders kann es Wagner nun mal nicht ausdrücken – weiß dann Brünnhilde alles. Sie hat sämtliche Ränke des zivilisationellen Zerstörers Hagen endgültig und glasklar durchschaut, versöhnt sich – zu spät – mit Siegfried, den sie zwischenzeitlich dermaßen gehaßt hat, daß sie dem Mordkomplott Hagens nicht nur zugestimmt, sondern dies überhaupt erst ermöglicht hat, indem sie Hagen Siegfrieds schwache Stelle, wo er ihn tödlich treffen kann, verraten hat. Hagen wollte die Zivilisation endgültig siegen lassen und ein für alle mal Träumereien vom Eigner, von Liebe und Autonomie vollständig vernichten. Es gelingt ihm zunächst, doch hat er nicht mit Brünnhildes tiefer Liebe und Intelligenz, d.h. mit ihrem Bewußtsein gerechnet, weil er von ihnen als Psychopath keine Ahnung hat; diese sind stärker als Hagens satanisch-armseliger Kleingeist.
Und dann erschallt, in dem Moment, wo Brünnhilde den Rheintöchtern das Gold zurückgibt, das unglaublich schöne, alles sagende Erlösungsmotiv: „Brünnhilde zieht von Siegfrieds Finger den Ring ab und betrachtet ihn sinnend. Mein Erbe nun nehm‘ ich zu eigen. Verfluchter Reif! Furchtbarer Ring! Dein Gold fass‘ ich und geb‘ es nun fort. Der Wassertiefe weise Schwestern, des Rheines schwimmende Töchter, euch dank‘ ich redlichen Rat. Was ihr begehrt, ich geb‘ es euch: aus meiner Asche nehmt es zu eigen! Das Feuer, das mich verbrennt, rein’ge vom Fluche den Ring! Ihr in der Flut löset ihn auf, und lauter bewahrt das lichte Gold, das euch zum Unheil geraubt.“
Brünnhilde hat hier längst jegliches Wirrsal unterwunden; sie hat vollständiges Bewußtsein erlangt, ist eine Eignerin: „Alles, alles, alles weiß ich, alles ward mir nun frei!“ Jetzt bringt sie das ganze verlogene und chaotische Kartenhaus der Zivilisation, das durch Alberichs (Hagens Vater) Liebesdeprivation im „Rheingold“ entstanden ist (neolithische Revolution), zum Einsturz und zur Verbrennung: „Denn der Götter Ende dämmert nun auf. So – werf‘ ich den Brand in Walhalls prangende Burg.“ Die Götter und ihr Sitz werden vernichtet, und die Eigner treten wieder auf – symbolisiert in der Urnatur des Goldes am Grunde des Rheinwassers. Die antineolithische Konterrevolution, die Mutter der Reaktion, siegt – auf eine Weise, von der ein Reaktionär, ein Konservativer keine Ahnung hat. Das weiß nur die ultrakonservative Tiefenwahrheit bzw. der linksradikale Ultrakonservatismus.cvii Das ist die Erlösung.
Wagner ahnt all das, mehr aber nicht. Das sind die höchsten seiner Gefühle – und er ist dankbar für alle Tricks aus der Mottenkiste der Romantik, aus der er sie hervorholt wie Branggäne die Tränke für Isolde.
Benedetto Croce – dessen Buch „Was ist Kunst?“ zu lesen ich mir seit Jahrzehnten vornehme, so wie ich den „Amphitryon“ vor mir hergeschoben habe – hat durchaus nicht unrecht, wenn er „Max Stirner als letzten Ableger der Romantiker“ sieht, deren „Lieblingsgedanke die von Schleiermacher beleuchtete ‚Eigentümlichkeit’“cviii gewesen sei. Ja, man kann das stirner’sche „Eigene“ auch als das „Eigentümliche“ und seine Sprache meinetwegen als „Jargon der Eigentlichkeit“ (Adornocix) bezeichnen. Der Unterschied zu den Romantikern liegt nur darin, daß Stirner deren Mottenkiste allergründlichst ausgeräumt, abgewickelt und bis auf die Knochen radikalisiert hat. Stirner ist der Destruktor des Symbolischen vor dem Herrn.
Immerhin greift Wagner wenigstens zu den Symbolen, das muß gewürdigt werden. Aber Wagner denkt, indem er das künstlerisch darstellt, ist es getan – dem ist nicht so. Man kann sich zwar an der Darstellung von Bewußtseinsbildungsprozessen anderer erfreuen und daran, daß in einer Erzählung Lösung und Erlösung stattfindet; das kann einen inspirierenden Effekt haben. Aber das ersetzt auf gar keinen Fall den eigenen Bewußtseinsbildungsprozeß, kann sogar von diesem ablenken oder unter dem tiefen Eindruck der Kunst kurzzeitig die Illusion erwecken, damit sei es getan. Wagner war mit sich als Künstler zufrieden, mehr war nicht drin.
Wagners Ahnungslosigkeit bezüglich der Erlösung
Aber völlig falsch liegt Wagner mit dem Bild – mit dem Symbol – des Feuers am Ende, mit dem alles vernichtet wird. Die Zivilisation kann nicht mit Gewalt abgewickelt werden – in einer solchen irrigen Vorstellung liegt ein größtmöglicher Widerspruch –, sondern nur mit einem Ausstieg aus ihr (aus der Geschichte, um mit Ernst Nolte zu sprechencx). Wagner muß zu diesem drastischen Bild greifen, weil er den gesamten Vorgang als extrem aufreibend empfindet – womit er recht hat. Weil er keine Ahnung von einem realen, nicht-künstlerischen Vorgang hat, er aber dessen riesige Bedeutung ahnt, muß er ihn mystisch aufblasen wie ein Michelinmännchen und als riesiges Feuer – als die Gewalt schlechthin – darstellen. Hier mußte der komponierende und schreibende Wagner hundertprozentig an seinem alten Kampfgefährten Bakunin denken, von dem er Jahre zuvor fasziniert gewesen war, und dessen feurige Sprüche ganz sicher noch in ihm nachhallten. In Wirklichkeit geht dieser Vorgang – zwar extrem bewegend, aber – im Stillen und in Abgeschiedenheit vor sich: im „Kabuff“, d.h. in einem völlig schallisolierten Raum, wo sich der Wahrsager ganz seiner Tiefenwahrheit hingeben und zum Eigner werden kann. Darin liegt der Unterschied von bakunin’schem Anarchismus und Nationalanarchismuscxi.
Doch der nicht nichts-ahnende, sondern immerhin ahnende Wagner muß aber nun noch mehr mystisch aufblasen … : Er muß nämlich Brünnhilde den Flammentod sterben lassen. Das ist eigentlich überhaupt nicht notwendig. Er kann sich einen Ausstieg aus der Geschichte, einen Übergang von Zivilisation in Anarchie, nur mit furchtbarster, ultimativer Gewalt und schrecklichsten Geburtswehen vorstellen. Wagner läßt jetzt Brünnhilde eine Art Jesus-Tod sterben. Ihr verbrannter Körper – ihre Asche – soll den Fluch vom Ring bzw. vom verfluchten Gold nehmen. Sie muß sterben, damit wir leben können; nur so wird das Gold durch Brünnhilde seines Fluches entkleidet: „Was ihr [die Rheintöchter] begehrt, ich geb‘ es euch: aus meiner Asche nehmt es zu eigen! Das Feuer, das mich verbrennt, rein’ge vom Fluche den Ring! Ihr in der Flut löset ihn auf, und lauter bewahrt das lichte Gold, das euch zum Unheil geraubt.“ – Warum muß Wagner Brünnhilde – wie Jesus am Kreuz – für uns sterben lassen? Das ist doch völlig unnötig. Wagner konnte wohl doch nur in christlicher Ikonographie denken.
So inkonsequent wie am Ende von „Amphitryon“ Kleist, wendet sich auch Wagner jetzt wieder dem Gott zu: Er läßt Brünnhilde, die da eigentlich gar keinen Gott mehr nötig haben müßte, weil sie selbst alles erkannt hat, singen: „Meine Klage hör‘, du hehrster Gott!“ Wagner selbst läßt sie doch durch ihre Intelligenz und ihre tiefen Gefühlen – also kognitiv und affektiv, wie Laska sagen würde – alles erkennen, nicht durch göttliche Hilfe. Wagner selbst stellt doch Wotan als korruptes Arschloch dar – warum läßt er die Retterin Brünnhilde sich ausgerechnet an diesen wenden, zumal Wagner ja auch überdeutlich Wotans Verrat an seiner Tochter geschildert hat.
Wagner läßt – ambivalent, wie er nun mal war (wie Ernst Nolte) – sowohl Wotan als auch Siegfried als „dem Fluche verfallen“ von Brünnhilde erkennen. Und er läßt sowohl Brünnhilde die Götter anflehen, als auch im gleichen Moment immerhin ihnen die ganze Schuld am Schlamassel zuweisen: „Lenkt euren Blick auf mein blühendes Leid: erschaut eure ewige Schuld!“ – Das bestätigte zwar noch ihre Gottgläubig- und -abhängigkeit, aber darin liegt schon der erste Schritt zu „Empörung“ (Stirner).
Warum nur läßt Wagner sie sagen?: „Weiß ich nun, was dir [Wotan] frommt? –“ Was schert Brünnhilde das jetzt noch?! Ihr kann doch Wotan jetzt völlig egal sein. Wagner kann sich nicht aus der Zivilisation lösen, kann kein Eigner sein.
Immerhin wünscht Wagner dann Wotan eine sanfte Ruhe: „Ruhe, ruhe, du Gott! –“ Zuvor muß der ewig ambivalente Wagner aber Brünnhilde mystisch „deine [Wotans] Raben rauschen hören“. Brünnhilde braucht also doch noch Fremdsteuerung, „weiß“ also nun doch nicht „alles“. Warum Brünnhilde nun Hugin und Munin die „bang ersehnte Botschaft“ überbringen läßt, bleibt Wagners Geheimnis. Wotan ist doch längst tot. Bevor Walhalla in Flammen aufgeht und alle Götter vernichtet werden, soll wohl ihr oberster Gott noch die ganze Wahrheit erfahren, vermute ich mal. Er soll wohl noch hören, was er falsch gemacht hat. Brünnhilde, die er schändlich behandelt und verstoßen hat, hat wohl noch eine Rechnung mit ihm offen: „Fliegt heim, ihr Raben! Raunt es eurem Herren, was hier am Rhein ihr gehört! An Brünnhildes Felsen fahrt vorbei! – Der dort noch lodert, weiset Loge nach Walhall! Denn der Götter Ende dämmert nun auf. So – werf‘ ich den Brand in Walhalls prangende Burg. Sie schleudert den Brand in den Holzstoß, der sich schnell hell entzündet. Zwei Raben sind vom Felsen am Ufer aufgeflogen und verschwinden nach den Hintergrunde zu.“
Jetzt kommt ein weiteres Symbol ins Spiel, das ich aber nicht recht verstehe: Brünnhildes Reitpferd „Grane“: „Grane, mein Ross! Sei mir gegrüßt! Weißt du auch, mein Freund, wohin ich dich führe? Im Feuer leuchtend, liegt dort dein Herr, Siegfried, mein seliger Held.“ – Warum muß denn nun auch noch der arme Gaul dran glauben und im Feuer den Opfertod sterben?! Wozu?
Doch dieser scheint sogar noch von seinem Heldentod entzückt zu sein! Er will regelrecht ins Feuer springen: „Dem Freunde zu folgen, wieherst du freudig? Lockt dich zu ihm die lachende Lohe? Fühl‘ meine Brust auch, wie sie entbrennt; helles Feuer das Herz mir erfasst, ihn zu umschlingen, umschlossen von ihm, in mächtigster Minne vermählt ihm zu sein! Heiajoho! Grane! Grüss‘ deinen Herren! Siegfried! Siegfried! Sieh! Selig grüßt dich dein Weib!“
Na ja, ich verstehe es nun doch: Für Brünnhilde hat ein Leben ohne Siegfried keinen Sinn. Deswegen kann sie sich gleich umbringen. Das hat aber mit einem jesuitischen Opfertod nichts zu tun; das ist etwas ganz anderes. Und Grane ist so etwas wie ein guter Kamerad, der ihr die ganze Zeit über, wo Siegfried nicht bei ihr, sondern unbedingt auf der Gibichungenburg und dort Abenteuer suchen mußte, ein guter, treuer Begleiter war. Grane ist ein wichtiges Kuscheltier, ein Siegfried-Ersatz.
Brünnhilde bringt die Gibichungenburg als Symbol für die dekadente und korrupte Zivilisation zur Feuervernichtung. Im gleichen Moment bricht aber im Überbau – „in Walhalls prangender Burg“ – ebenfalls das finale Feuer aus: „Aus den Trümmern der zusammengestürzten Halle sehen die Männer und Frauen in höchster Ergriffenheit dem wachsenden Feuerschein am Himmel zu. Als dieser endlich in lichtester Helligkeit leuchtet, erblickt man darin den Saal Walhalls, in welchem die Götter und Helden versammelt sitzen. Helle Flammen scheinen in dem Saal der Götter aufzuschlagen. Als die Götter von den Flammen gänzlich verhüllt sind, fällt der Vorhang.“
Beides – die menschliche Basis in Form der Gibichungen als auch der Überbau in Form des Göttersitzes – fängt in seiner dialektischen Einheit zugleich an zu brennen.
Doch Wagner – der doch eigentlich feurig wie Bakunin ist – läßt also die Götter nur „von den Flammen gänzlich verhüllt“ sein. Gehen sie bei ihm wirklich unter? Gibt es überhaupt wirklich eine Dämmerung, ein Dunkel, in das die Götter verschwinden? Können wir Eigner sein?
Zusammenfassung, zurück zum Wesentlichen
Kunst ist Unterhaltung. So, wie Laskas philosophische Arbeiten eine sehr genußvolle intellektuelle Unterhaltung ist, so sind Wagners Opern eine genußvolle ästhetische Unterhaltung. Tiefenwahrheit ist keine Unterhaltung mehr, obwohl sie eigentlich sehr unterhaltsam ist – man spricht mit sich selbst auf eine äußerst unterhaltsame Art –, aber es ist natürlich keine Unterhaltung im üblichen Sinne (entertainment), es hat nichts mit divertissement oder small talk zu tun.
Doch wenn Unterhaltung Genuß bedeutet, dann ist das Wiederfinden des verlorenen Ichs durch Tiefenwahrheit höchster Genuß, allertiefste Kulinarik, die die ästhetische weit in den Schatten stellt.
„Genuß“ bedeutet dann aber nicht nur positive Gefühle.
Sind Sie der Meinung, lieber Leser, daß ich die Sachen durcheinanderbringe und daß Kunst überhaupt nichts mit Tiefenwahrheit oder guter Psychotherapie zu tun habe? – Oh doch, von einem tieferen Standpunkt aus gesehen, ist es nichts anderes, wenn auch unterschiedlicher Qualität.
Der Unterschied zwischen Kunst und Tiefenwahrheit liegt vor allem im verschiedenen Grad an Symbolismus. Wagner selbst deutet den Unterschied im „Tristan“ so an: „O König, das kann ich dir nicht sagen; und was du frägst, das kannst du nie erfahren.“
Anmerkungen:
i Peter Töpfer: Max Stirner und die Tiefenwahrheit als post-psychotherapeutisches Selbstermächtigungsverfahren.
Bernd A. Laskas LSR-Projekt und die Weiterentwicklung der im Kognitiven, Affektiven und Korporellen operierenden Neuen Aufklärung (2025), hier fortan „Stirner Tiefenwahrheit“
ii Siehe Kapitel 2.8.1.1. Exkurs im Exkurs: die Persönlichkeitsspaltung in der Literatur
iii Trizophrenie. Der seltsame Fall des Mister Nice Guy (Dr. Jekyll), des Rächers mittels böser Gedanken (Mr. Hyde) und des kleinen Eigners. Ein Schauermärchen in 4 Teilen, 22 Kapiteln und 84 Unterkapiteln. Kino-Version mit rasanten Kamerafahrten und vielen bunten Bildern, basierend auf der Stunde der Tiefenwahrheit vom 2. Dezember 2016: https://www.youtube.com/watch?v=-vsmj9Yl4kw&t=1915s ; die langweilige wissenschaftliche Fassung: https://www.youtube.com/watch?v=Q-LzxvYknts&t=2620s ; Textversion: https://tiefenwahrheit.de/trizophrenie-dr-jekyll-mr-hyde-und-der-kleine-eigner-max-stirner/ ; alternativ: https://odysee.com/@tiefenwahrheit:1
iv Heinrich von Kleist: Amphitryon. Dresden, 1807. Original: https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/kleist_amphytrion_1807?p=1, Rechtschreibung angepaßt: https://www.projekt-gutenberg.org/kleist/amphitry/amphi014.html, normalisiert (ohne Versbrüche; Versanfänge bleiben groß geschrieben: https://kleist-digital.de/dramen/amphitryon/normalisiert, Hörspiel: https://www.youtube.com/watch?v=Sci8yLeiqPE
v Thomas Mann: Kleist „Amphitryon“, Essay, Neue Rundschau, Berlin 1929, zit. hier aus dem Nachwort zu: Heinrich von Kleist: Amphitryon. Ein Lustspiel nach Molière, Berlin und Weimar, 1977, S. 126. Den Text scheint es im Netz nicht zu geben. Hier fortan kurz „Mann Amphitryon“.
vi Mann Amphitryon, S. 188
vii Ebenda
viii Ebenda, S. 173
ix Ebenda, S. 134
x Bernd A. Laska: Ein dauerhafter Dissident, 150 Jahre Stirners „Einziger“. Eine kurze Wirkungsgeschichte, Nürnberg1996, S. 103/104
xi Günter Kunert: Doppelgänger, in: Verspätete Monologe, München Wien 1981, S.71–73, zitiert in „Stirner Tiefenwahrheit“, S. 89
xii Stirner Tiefenwahrheit, S. 89
xiiiEbenda, S. 188
xivMann Amphitryon, S. 146
xv „Aber auch in der Weise der Unmittelbarkeit ist jener Satz, um den, wie man sagen kann, sich das ganze Interesse der neueren Philosophie dreht, sogleich von deren Urheber ausgesprochen worden: Cogito, ergo sum. […] Die Ausdrücke Descartes’ über den Satz der Unzertrennlichkeit meiner als Denkenden vom Sein, dass in der einfachen Anschauung des Bewusstseins dieser Zusammenhang enthalten und angegeben, dass dieser Zusammenhang schlechthin Erstes, Prinzip, das Gewisseste und Evidenteste sei, so dass kein Skeptizismus so enorm vorgestellt werden könne, um dies nicht zuzulassen.“ Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, in: Werke. Bd. 8, Frankfurt a. M. 1979, S. 154f. Anna Kerkel schreibt in „Das Absurde bei Kleist“ dazu: „Die Aufspaltung der letzten Instanz von Erkenntnis, dieser enorme Skeptizismus, der Hegels Vorstellungskraft überschreitet, muss Goethe als eben dieses ’seltsamste Zeichen der Zeit‘ erscheinen.“ https://library.oapen.org/bitstream/handle/20.500.12657/89811/external_content.pdf?sequence=1&isAllowed=y
xvi Mann Amphitryon, S. 134
xvii Ebenda, S. 141
xviii Ebenda, S. 173
xix Heinrich von Kleist: Amphitryon. Ein Lustspiel nach Molière, Berlin und Weimar, 1977 (hier fortan „Kleist Amphitryon“), 1. Akt, 2. Szene
xx Ebenda
xxi Mann Amphitryon, S. 135
xxii Ebenda, S. 188
xxiii https://www.youtube.com/playlist?list=PLvnPNlSwjOOkvXe0WSTmvOxZ7jptIlkm7
xxiv Stirner Tiefenwahrheit, S. 82; sie auch mein Theaterstück „Er“: http://peter-post.net/post-musik/vorhang-auf/
xxv https://de.wikipedia.org/wiki/MKULTRA
xxvi Siehe die Kapitel 7.2.1.11. Das „Gesundheitskriterium“ der Reichianer Laska, Peter Nasselstein und Bernd Senf,
8.5.2. Peter Nasselstein repulsiert zwar nicht die Therapie, kommt aber wegen deren reichianischer Ausrichtung zu ernüchterndem Ergebnis und 8.5.4. Nasselstein zu Laskas „rationalem Über-Ich“ in „Stirner Tiefenwahrheit“
xxvii Mann Amphitryon, S. 181
xxviii Kleist Amphitryon, ebenda
xxix Mann Amphitryon, S. 174
xxx Ebenda
xxxi Peter Töpfer: Die Wahrheit – sie sagen und in ihr leben, 2004 (kurz: Töpfer Wahrheit), https://tiefenwahrheit.de/buch/, S. 107/108
xxxii Mann Amphitryon, S. 156
xxxiiihttps://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber_das_Marionettentheater
xxxiv Herbert Kraft: Kleist. Leben und Werk. Aschendorff, Münster 2007, S. 182
xxxv Peter Post (Peter Töpfer): Die Post-Musik – des Manifestes erster Teil: Vom „Reinmenschlichen“ zum „Wahrsager“ Kunst heute in der Nachfolge von Richard Wagner Die Post-Musik vor dem Hintergrund Richard Wagners Theorien (2014): http://peter-post.net/post-musik/manifest/
xxxvi https://tiefenwahrheit.de/dr-konrad-immelmann/
xxxvii https://lsrmaschinenraum.substack.com/p/email-uber-reich-freud-und-
rationalitat
xxxviii Stirner Tiefenwahrheit, S. 54
xxxix Peter Töpfer: Radikale Aufklärer und Gegenaufklärer – vereinigt Euch! Bausteine zur Neuen Aufklärung und zum editorischen Stand des LSR-Projekts als deren intellektuellem Flaggschiff (2022): https://multipolaristen.de/multipolaristen/post-philosophie-2/peter-toepfer-radikale-aufklaerer-und-gegenaufklaerer-vereinigt-euch-20-8-2022/
xl Mann Amphitryon, S. 138
xli Ebenda, S. 139
xlii Ebenda, S. 140
xliii Ebenda, S. 145
xliv Kleist Amphitryon, 2. Akt, 1. Szene
xlv Mann Amphitryon, S. 133
xlvi Siehe Anm. 3
xlvii Kleist Amphitryon, ebenda
xlviii Mann Amphitryon, S. 141
xlix Ebenda, S. 152
l Ebenda, S. 52
li Kleist Amphitryon, 2. Akt 5. Szene
lii Ebenda
liii Goethe: Tagebucheintrag vom 13. 07. 1807
liv Ebenda
lv Mann Amphitryon, S. 153
lvi Vgl. die Kapitel 96.6. Sinn und Kunst, 97. Sinn-Wiederfindung – Goethes Schmerz und Unterwindung und 98. Goethes nonverbaler Urschmerz – unterwunden im „Werther“ in Peter Töpfer: Pan-Agnostik. Erscheinungsformen der Metaphysik und deren Wertlosigkeit für die Existenz, fortan kurz: Töpfer Pan-Agnostik, Ankara 2023, https://tiefenwahrheit.de/pan-agnostik/
lvii Mann Amphitryon, S. 153/154
lviii Stefan Zweig: Marienbader Elegie, in: eine Sternstunden der Menschheit, Erstausgabe 1927: https://www.projekt-gutenberg.org/zweig/sternstu/chap007.html, zitiert in: Töpfer Pan-Agnostik, S. 387
lix Töpfer Pan-Agnostik, S. 387
lx Ebenda, S. 388
lxi Ebenda
lxii Zweig, aaO, zitiert in: Töpfer Pan-Agnostik, S. 388
lxiii Zweig, ebenda, S. 390
lxiv Töpfer Pan-Agnostik, S. 390
lxv https://www.youtube.com/@institutfurtiefenwahrheit/, https://www.bitchute.com/channel/uJRz5dG33PgT, https://rumble.com/user/IfTW2?e9s=src_v1_cmd, https://odysee.com/@tiefenwahrheit:1
lxvi Mann Amphitryon, S. 155
lxvii Ebenda, S. 159
lxviii Ebenda, S. 185
lxix Inhaltsangabe: https://de.scribd.com/doc/237389184/Kleists-Amphitryon-Inhaltsangabe
lxx Anna Kerkel: Das Absurde bei Kleist, Die absurde Identität, Amphitryon – ich. Was für ein Ich?: https://library.oapen.org/bitstream/handle/20.500.12657/89811/external_content.pdf?sequence=1&isAllowed=y
lxxi Stirner Tiefenwahrheit, II. Teil: Aktion. Eine Stunde der Tiefenwahrheit (vom 26. Januar 2017), Video-Version, Schrift-Version, https://tiefenwahrheit.de/max-stirner-tiefenwahrheit-bernd-a-laskas-lsr-projekt-neue-aufklaerung/
lxxii Diese Verwandlung und Rückverwandlung der Wahrheit schildere ich in „Töpfer Wahrheit“ und beweise damit die prinzipielle Möglichkeit einer Wiederaneignung der zerstörten Person, d.h. einer Selbstermächtigung (Laska), einer Wiedererrichtung des „Eigners“ (Stirner). Siehe dazu auch: Wolf-Andreas Liebert, Werner Moskopp (Hg.): Die Selbstermächtigung der Einzigen. Texte zur Aktualität Max Stirners, Berlin, Münster, London, Wien, Zürich 2014 https://lit-verlag.de/isbn/978-3-643-12454-8/
lxxiii Kleist Amphitryon, 2. Akt, 2. Szene
lxxiv Töpfer Stirner Tiefenwahrheit, S. 270
lxxv https://kleist-digital.de/dramen/amphitryon/normalisiert
lxxvi Bernd A. Laska: Der sexuelle „Verein“. Prototyp des Stirner‘schen „Vereins“. Eine Skizze, https://www.lsr-projekt.de/mssex.html
lxxvii Kleist Amphitryon, 3. Akt, 11. Szene
lxxviii Bernd A. Laska alias Barbara Lehmann, WRB 1/1976, S. 32,
lxxixMann Amphitryon, S. 181
lxxx Ebenda, S. 143
lxxxi Ebenda, S. 142
lxxxii Siehe Videos zur Verarschung: https://www.youtube.com/playlist?list=PLvnPNlSwjOOkvXe0WSTmvOxZ7jptIlkm7
lxxxiii Ebenda
lxxxiv Kleist Amphitryon, S. 53
lxxxv https://www.literaturport.de/literaturlandschaft/orte-berlinbrandenburg/text/kleists-abschiedsbrief-an-seine-schwester/
lxxxvi Töpfer Wahrheit: https://tiefenwahrheit.de/buch/
lxxxvii Mann Amphitryon, S. 154
lxxxviii Ebenda, S. 156
lxxxix Ebenda, S. 148
xc Ebenda, S. 149
xci Elias Corrinth: Wagner: TRISTAN UND ISOLDE | Einführung und Highlights in 66 Minuten: https://youtu.be/Akk2IH9RwpY?si=Pbt2GQeKY7KFKyQe
xcii ChatGPT
xciii Wiener Staatsoper: Tristan und Isolde | Einführungsmatinee https://youtu.be/a150MTWirA0?si=N7zjYvMQCyMx75gu&t=2195
xciv Corrinth: https://youtu.be/Akk2IH9RwpY?si=JG8mB0–uqDi_XZS&t=1181
xcv Ebenda
xcvi Peter Töpfer rezitiert die Texte der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner: https://www.youtube.com/watch?v=UJ-IJvteODs&list=PLK5_rrXhmHaV9AiaBGpTe5lUZNSNGKg2A ; https://www.youtube.com/playlist?list=PLK5_rrXhmHaWb-sOFeCRwmi2nJSEAAt96
xcvii Corrinth, ebenda
xcviii https://www.youtube.com/playlist?list=PLvnPNlSwjOOn2gUcwj8p0Xq7seuI90QMb, https://tiefenwahrheit.de/weitere-texte/text-fassungen-dugin-heimat/, https://tiefenwahrheit.de/videos/video-reihe-dugin-heimat/kommentare-zur-video-reihe-dugin-heimt/kommentar-zu-dugin-heimat-5-das-heilige-1-und-seine-entweihung-durch-technik/
xcix https://youtu.be/ZKv8J_4jdSI?si=3C7oY_NkVe06ZIL7&t=14356
c Die Dienste: http://tiefenwahrheit.de/dem-iftw-vorausgegangene-unternehmungen/
ci Wagner: Götterdämmerung (Bayreuth 2016, Marek Janowski, Frank Castorf) 2:42:16: https://youtu.be/ZKv8J_4jdSI?si=bgp00RzvXGSvD4YX&t=9736
cii Ebenda, 2:51:57: https://youtu.be/ZKv8J_4jdSI?si=uIZQGjfKW3pd3pVp&t=10317
ciii http://tiefenwahrheit.de/
civ Wagner: Götterdämmerung https://youtu.be/ZKv8J_4jdSI?si=4yQjXQS8JizG4zEU&t=2573
cv Ebenda, https://youtu.be/ZKv8J_4jdSI?si=CfTp-TpC14liBuCB&t=3216
cvi Ebenda, https://youtu.be/ZKv8J_4jdSI?si=FzZzaPCsg1jW4ibi&t=12531
cvii Siehe Peter Töpfer: Eine Neue Utopie – die keine ist, sondern reine Topik: linksradikaler Ultra- und Fundamentalkonservatismus. Ernst Noltes Große Ambivalenz: https://tiefenwahrheit.de/eine-neue-utopie-die-keine-ist-sondern-reine-topik-linksradikaler-ultra-und-fundamentalkonservatismus-ernst-noltes-grosse-ambivalenz/
cviii Benedetto Croce: Philosophie der Praxis. Ökonomik und Ethik. Gesammelte philosophische Schriften, 1. Reihe, 3. Band. Tübingen ³1929. S. 176 (1. it. 1908 Filosofia della pratica, economia et etica, Bari), zitiert aus: https://lsrmaschinenraum.substack.com/p/notiz-urteile-uber-stirner-oj
cix https://de.wikipedia.org/wiki/Jargon_der_Eigentlichkeit
cx Töpfer Neue Utopie
cxi www.nationalanarchismus.de




